Kind im Gummistiefeln balanciert
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Zur Einführung einer Kindergrundsicherung: Pläne, Chancen und Risiken

Um die von der Ampel-Koalition geplante Kindergrundsicherung gibt es einigen Streit – sowohl mit der Opposition als auch innerhalb der Regierung selbst. Welche Änderungen sind geplant und welche Auswirkungen können diese aus rechtlicher Sicht haben?

Die geplante Einführung einer Kindergrundsicherung ist ein sozialpolitisches Konzept der Ampelregierung, das darauf abzielt, die finanzielle Situation von Familien mit Kindern zu verbessern und Kinderarmut zu bekämpfen. Sie stellt ein wichtiges Anliegen der derzeitigen Regierung dar und wurde explizit im Koalitionsvertrag zwischen FDP, SPD und Bündnis 90/ die Grünen verankert: In einem Neustart der Familienförderung sollen bisherige finanzielle Unterstützungen – wie Kindergeld, Kinder-Bürgergeld, Leistungen aus SGB sowie den Kinderzuschlag – in einer einfachen, automatisiert berechnet und ausgezahlten Förderleistung gebündelt werden. Diese Leistung soll ohne bürokratische Hürden direkt bei den Kindern ankommen und ihr neu zu definierendes soziokulturelles Existenzminimum sichern.[1] Im Rahmen der Prüfung der Einführung einer Kindergrundsicherung soll eine Neudefinition des soziokulturellen Existenzminimums von Kindern und Jugendlichen erfolgen. Dies beinhaltet die Prüfung sämtlicher Bestandteile des soziokulturellen Existenzminimums, einschließlich der Regelbedarfe und ihrer Ermittlung.[2]

Kritisch wird das geplante Vorhaben in Teilen der Opposition bewertet, die anstelle weiterer finanzieller Leistungen auf mehr Unterstützung von Kindern sowie einen Ausbau des Bildungs- und Betreuungsangebotes derselben setzen möchte.[3]

Der nachfolgende Beitrag soll eine kurze Übersicht über die (derzeit) geplanten Inhalte der Kindergrundsicherung  geben sowie Chancen und Risiken der Kindergrundsicherung beleuchten:

Geplante Inhalte der Kindergrundsicherung

Durch das hierfür zuständige Bundesfamilienministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (im Folgenden: BMFSFJ) wird derzeit angestrebt, dem Kabinett nach der Bundestags-Sommerpause 2023 einen geeigneten Gesetzentwurf vorzulegen. Das Gesetzgebungsverfahren selbst soll noch im Jahr 2023 beginnen, die geplante Kindergrundsicherung erstmals 2025 zur Auszahlung gelangen.[4]

Die Kindergrundsicherung soll sich voraussichtlich aus zwei Kernkomponenten zusammensetzen: den Komponenten einkommensunabhängiger Garantiebetrag, der dem heutigen Kindergeld nachfolgt, und vom Einkommen des Kindes und der Eltern abhängigen, altersgestaffelten Zusatzbetrag.  Dabei soll die Kindergrundsicherung verwaltungseinfache Leistung werden und keine individuellen Bedarfsprüfungen der Kinder vornehmen.[5]

Das derzeit bestehende steuerrechtliche Kindergeld soll in den Garantiebetrag der Kindergrundsicherung überführt werden. Der Garantiebetrag der Kindergrundsicherung soll ab 2025 mindestens der Höhe des dann geltenden Kindergeldes (derzeit 250 Euro, eine Überprüfung der Betragshöhe alle zwei Jahre ist angedacht) für jedes Kind bis zum 18. Lebensjahr entsprechen. Perspektivisch soll die Kindergrundsicherung den Familienleistungsausgleich übernehmen, der heute die Steuerfreistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums des Kindes bewirkt.[6]

Der Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung soll eine einkommensabhängige Leistung sein, die nur diejenigen Eltern unterstützt, die sie tatsächlich benötigen. Sowohl ein Einkommen der Eltern, als auch des Kindes sowie erhebliches Vermögen wird bei der Berechnung berücksichtigt. Er soll dabei als Leistung für Eltern für in ihrem Haushalt lebende, unverheiratete oder nicht verpartnerte Kinder, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, ausgestaltet werden.[7]

Wer hat dann den Anspruch inne?

Unklar ist nach derzeitiger Informationslage, wem in der finalen Umsetzung des Gesetzesentwurfs der Anspruch auf die Kindergrundsicherung originär als Anspruchsinhaber zustehen soll. Die Ausgestaltung der Anspruchsinhaberschaft wirft dabei verschiedene Rechtsfragen auf, die unmittelbare Folgen für die Leistungsberechtigten und den finanziellen Umfang der Ausgaben haben.[8]

Die aktuelle Gesetzeslage spaltet staatliche Leistungen gegenüber Kindern in viele, teils unübersichtliche Teile auf. Grundsätzlich sind dabei leistungsberechtigt nicht die Kinder selbst, sondern deren Eltern. So wird das Kindergeld beispielsweise gem. § 62 EstG als Anspruch der Eltern gegenüber dem Staat ausgestaltet. Nur in seltenen Ausnahmefällen (z. B. bei Vollwaisen) besteht ein eigener Anspruch des Kindes gegen den Staat auf Zahlung von Kindergeld.[9] Die Koalition möchte dagegen als grundlegendes neues Prinzip die geplante Kindergrundsicherung einen eigenen Anspruch des Kindes normieren.[10]

Demgegenüber geht das BMFSFJ zumindest bei minderjährigen Kindern von einer Anspruchsinhaberschaft der Eltern aus. Um dem verfassungsrechtlichen Vorrang der elterlichen Unterhaltsverpflichtung für ihre minderjährigen und/oder im Haushalt lebenden Kinder (Art. 6 Abs. 2 GG) Rechnung zu tragen, soll nach dem Eckpunktepapier des BMFSFJ die Anspruchsinhaberschaft für den Garantiebetrag weiterhin bei den Eltern liegen. Werden Kinder volljährig und ziehen aus dem Elternhaushalt aus, besteht ein eigener Auszahlungsanspruch der Kinder. Werden Kinder volljährig und leben noch im Haushalt der Eltern, wird ein eigener Auszahlungsanspruch geprüft. Die Unterhaltspflichten der Eltern – auch hinsichtlich zu gewährender Naturalleistungen an die Kinder - mindern sich dann um den Garantiebetrag.[11]

Antragstellung wohl nur im digitalen Verfahren

Für den Antrag auf die geplante Kindergrundsicherung soll nach derzeitigen Planungen ein reiner digitaler Antrag in einem Online-Kindergrundsicherungsportal bei den zuständigen Familienkassen zu stellen sein, da die Familienkassen bereits jetzt digitale Lösungen etwa für Anträge auf Kinderzuschläge bereithalten.[12] Sollte dies so umgesetzt und der Anspruch auf die Kindergrundsicherung in den Sozialgesetzbüchern verankert werden, wird sich zwangsläufig die Vereinbarkeit einer rein digital möglichen Antragstellung mit dem Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens nach § 9 SGB X stellen. Die Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens ist oberster Grundsatz und als allgemeines Auslegungsprinzip bei allen Verfahrenshandlungen der Sozialverwaltungsbehörden zu beachten.[13] Ein Antragsteller ist ohne besondere gesetzliche Verpflichtung nicht gezwungen, sich amtlicher Formulare zu bedienen.[14] Zwar besteht nach § 9 S. 1 Hs. 2 SGB X eine Ausnahme dahingehend, dass durch Rechtsvorschriften Formzwänge verankert werden können, hierfür bedürfte es aber wohl einer expliziten gesetzlichen Regelung, die für eine rein digital mögliche Antragstellung für die Kindergrundsicherung zu verankern wäre.

Rechtsweg noch nicht abschließend geklärt

Bis dato scheint noch nicht finale entschieden, welche Gerichtsbarkeit für rechtliche Streitfragen nach Einführung der geplanten Kindergrundsicherung zuständig sein soll. Infolge der geplanten Verschmelzung von Leistungen wie dem steuerlichen Kindergeld und dem Kinderzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch erscheint generell grundsätzlich sowohl eine Zuständigkeit der Finanzgericht als auch eine Zuständigkeit der Sozialgerichte möglich.

Im Rahmen eines Jahrespressegesprächs im Februar 2023 hat sich hierzu etwa der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, klar positioniert. Unter Verweis darauf, dass die geplante Kindergrundsicherung als existenzsichernder Sozialleistungsanspruch auszugestalten sei und entsprechende sozialrechtliche Fragestellungen bei den Sozialgerichten zu klären seien, wäre eine Zuständigkeit für sozialrechtliche Fragen bei der geplanten Kindergrundsicherung nach der Ansicht Schlegels ebenfalls bei den Sozialgerichten zu verankern.[15]

Andere Stimmen, wie etwa der hessische Justizminister Prof. Dr. Roman Poseck oder auch der Präsident des hessischen Finanzgerichts Michael Knab plädieren hingegen unter Verweis auf die in Jahrzehnten gefestigte Rechtsprechung in Rechtsfragen betreffend das Kindergeld für eine Zuständigkeit der Finanzgericht.[16]

Es bleibt abzuwarten, welche Position letztlich im Gesetzesentwurf zur Einführung der Kindergrundsicherung vertreten wird, respektive in welchen gesetzlichen Regelungen der Anspruch auf Kindergrundsicherung verankert werden soll.

Debatte um die Finanzierung

Umstritten war lange Zeit die Höhe der finanziellen Mittel, die für die Kindergrundsicherung bereitgestellt werden sollen. Während etwa der Sozialverband VdK eine jährliche notwendige Summe von 24 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung als essentiell ansieht[17], fordert das Bundesfamilienministerium zunächst 12 und sodann etwa 7 Milliarden Euro jährlich.[18] Ausweislich der Mitteilung des Bundesfinanzministers Christian Lindner hingegen wurde in dem Haushalt 2024 und dem Finanzplan bis 2027 für die neue Familienleistung der Kindergrundsicherung ab 2025 lediglich ein jährlicher Betrag von 2 Milliarden Euro sowie für das Jahr 2024 ein Betrag von 100 Millionen Euro für die Vorbereitung des Digitalisierungsverfahrens eingeplant.[19]

Die Schärfe, mit der die Debatte um die Höhe der Mittel für die Kindergrundsicherung geführt wurde, zeigte sich zuletzt an einer Blockade des durch Finanzminister Lindner geplanten Wachstumschancengesetz, welches Steuersenkungen für Unternehmen zum Inhalt haben soll: Obwohl das Gesetz in den zurückliegenden Tagen vom Kabinett hätte beschlossen werden sollen, wurde durch Familienministerin Lisa Paus ein Veto eingelegt und dies damit begründet, dass eine Zustimmung ihrerseits nur erfolgen werde, sofern zeitgleich mehr als die bisher veranschlagten 2 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung bereit gestellt würden.[20] Zwischenzeitlich kam es dahingehend jedoch zu einer Einigung in der Ampelregierung dergestalt, als dass zukünftig ab dem Jahr 2025 zunächst jährliche Kosten i.H.v. 2,4 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung eingeplant werden.[21]

Fazit: Chancen und Risiken der bisherigen Pläne

Die geplante Kindergrundsicherung ist von ihrer derzeit publik gemachten theoretischen Grundkonzeption her sicherlich begrüßenswert und durchaus geeignet, Kinderarmut in Deutschland gezielt entgegen zu wirken. Dabei dürften die Antragstellenden durch die Zentralisierung auf einen einzigen Antrag, der eine Vielzahl von Leistungen bündeln soll und dadurch mittelbar auch die mit den Leistungsanträgen bisher angerufenen Verwaltungen und Gerichte wohl erheblich entlastetet werden.

Rein praktisch wird sich im Falle der geplanten vollständigen Digitalisierung des Antragsverfahrens und dessen gesetzlicher Verankerung zeigen, ob gerade die vollumfänglich digitale Antragstellung eine Erleichterung für die Antragsberechtigten mit sich bringt, oder ob es diesen im Gegenteil erschwert wird, einen Leistungsantrag zu stellen. Zumindest nach diesseitiger Ansicht des Verfassers dürfte gerade (auch) zur Schaffung sozialer Gerechtigkeit (auch) unabdingbar bleiben, zumindest eine Alternative in Form herkömmlicher mündlicher wie schriftlicher Antragstellung zu schaffen, dies insbesondere in Ansehung des Umstandes, dass knapp 6 %, also 3,4 Millionen der Menschen in Deutschland im Alter zwischen 16 und 74 Jahren noch nie das Internet genutzt haben.[22] Wäre diese quantitativ nicht unerhebliche Gruppe nun auf eine ausschließlich digitale Antragstellung verwiesen, könnte dies in sozialpolitisch nicht gewollten Leistungslücken münden.

Ebenso wird gerade in Hinblick auf die Frage der originären Anspruchsinhaberschaft zeigen, ob die finanzielle Hilfe tatsächlich auch gezielt bei den Kindern ankommt, oder die Kindergrundsicherung letztlich vielerorts als generelles „zusätzliches Familieneinkommen“ dienen wird

Dem finalen Gesetzesentwurf zur Kindergrundsicherung und seinem anschließenden Gang durch das Gesetzgebungsverfahren darf daher mit Spannung entgegengesehen werden. Dies insbesondere in Ansehung der vormaligen Divergenzen um die geplanten finanziellen Mittel innerhalb der Regierungsparteien, der kritischen Stimmen der Opposition, aber letztendlich auch ob der tatsächlichen praktischen und praktikablen Umsetzung der Pläne der großen Koalition selbst.

Zur Person:
Sebastian Lehr ist Rechtsanwalt mit Lehrauftrag an der OTH Regensburg sowie der OTH Amberg-Weiden

[1]     Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen FDP, SPD und dem Bündnis 90/ die Grünen, S. 100.

[2]     BT-Drs. 20/1411, S.17.

[3]     https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/merz-kritisiert-im-sommerinterview-afd-und-buerokratie-19131637.html (zuletzt abgerufen am 28.08.2023).

[4]     https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/familienleistungen/die-kindergrundsicherung-die-leistung-fuer-alle-kinder-228230 (zuletzt abgerufen am 28.07.2023).

[5]     Eckpunktepapier des BMFSFJ zur Kindergrundsicherung, S.7f.

[6]     Eckpunktepapier des BMFSFJ zur Kindergrundsicherung, S.3f.

[7]     Eckpunktepapier des BMFSFJ zur Kindergrundsicherung, S.5f.

[8]     Vgl. ausführlich und lesenswert zu den Rechtsfragen der Anspruchsinhaberschaft: Schwenger, info also 2023, 99f.

[9]    https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/familienleistungen/kindergeld/kindergeld-73892                                     (zuletzt abgerufen am 28.08.2023).

[10]   BT-Drs. 19/14326, S. 4.

[11]   Eckpunktepapier des BMFSFJ zur Kindergrundsicherung, S.4.

[12]   https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/kindergrundsicherung-2197266 (zuletzt abgerufen am 28.08.2023).

[13]   Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann/Fichte, 7. Aufl. 2021, SGB X § 9 Rn. 3.

[14]   BSG, Urt. v. 18. 8. 2005 – B 7a/7 AL 66/04 R, SozR 4-4300 § 415 Nr. 1 Rn. 19 = BeckRS 2006, 40259.

[15]   Pressemitteilung des Bundessozialgerichts 02/2023 vom 07.02.2023 (abrufbar unter: https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/

[16]   Pressemitteilung des hessischen Ministeriums für Justiz vom 31.02.2023 (abrufbar unter: https://justizministerium.hessen.de/presse/gerichtliche-zustaendigkeiten-sollten-bei-neuregelung-von-kindergeldsachen-bestehen-bleiben).

[17]   https://www.spiegel.de/wirtschaft/kindergrundsicherung-sozialverband-fordert-24-milliarden-euro-a-1eca3dfa-2fda-438e-8a50-0b88d577d5b3# (zuletzt abgerufen am 18.08.2023).

[18]   https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/reden-und-interviews/verdeckte-armut-verringern-und-kindern-gute-startchancen-ermoeglichen-222798 (zuletzt abgerufen am 18.08.2023).

[19] https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2023/07/2023-07-05-regierungsentwurf-bundeshaushalt-2024.html (zuletzt abgerufen am 18.08.2023).

[20]   https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-08/wachstumschancengesetz-lisa-paus-christian-lindner-veto (zuletzt abgerufen am 18.08.2023).

[21]   https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kindergrundsicherung-ampel-koalition-plant-2-4-milliarden-euro-ein-19132657.html (zuletzt angerufen am 28.08.2023).

[22]   https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2023/PD23_15_p002.html (zuletzt abgerufen am 18.08.2023),

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