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Europäische Staaten versagen beim Schutz von Minderjährigen

Die europäischen Staats- und Regierungschefs zeigen derzeit, wie wenig ernst sie den Begriff der 'europäischen Wertegemeinschaft' nehmen. Tausende Kinder und Jugendliche leben völlig schutzlos inmitten der Europäischen Union, doch geholfen wird ihnen nicht. Das alles ist schon lange bekannt, und dennoch nehmen die politisch Verantwortlichen den massenhaften Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention in Kauf - allein aus politischem Kalkül.

Hilfsorganisationen, die die Situation auf den griechischen Inseln schon länger genau im Blick haben, sind nicht verwundert über die drohende Eskalation der Lage. Schon seit Monaten machen sie auf die katastrophalen hygienischen Zustände und die schlechte medizinische Versorgung in den provisorischen Lagern aufmerksam: Ca. 40.000 Geflüchtete harren auf den griechischen Inseln in der Hoffnung aus, bald in ein Aufnahmelager gebracht zu werden, in dem sie menschenwürdige Verhältnisse vorfinden.

Doch statt den Menschen eine Verbesserung der Lage in Aussicht zu stellen, bewirkt die Entscheidung der griechischen Regierung, vorerst keine Asylanträge mehr anzunehmen, das Gegenteil. Konkret bedeutet das: Wer es aktuell in die EU schafft, kann nicht damit rechnen, nach Standards der UN-Menschenrechtskonvention behandelt zu werden, zumindest dann nicht, wenn er die EU über die türkisch-griechische Grenze erreicht. Unabhängig davon, ob die ankommenden Menschen verfolgt werden oder nicht, was im Moment der Antragsstellung überhaupt nicht rechtssicher überprüfbar ist, wird den geflüchteten Menschen schlicht das Recht verwehrt, einen offiziellen Antrag auf Asyl zu stellen. Und das alles mit verständnisvoller Duldung der neuen (christdemokratischen) EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, die gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan hart bleiben möchte und hierfür in Kauf nimmt, dass moralisch indiskutable (und in Teilen schlicht illegale) Mittel eingesetzt werden.

Hilfsorganisationen reduzieren ihre Arbeit - aus Sicherheitsgründen

Dass die politischen 'Verhandlungen' zwischen einer erpressbaren EU und Türkeis Machthaber Erdogan auf dem Rücken der migirierten und einheimischen Menschen in der Region ausgetragen werden, steht auch für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen fest, wie deren Koordinator für Projekte in Griechenland, Stefano Argenziano, erklärt: Beide Gruppen wurden von den europäischen Staats- und Regierungschefs im Stich gelassen, um den EU-Türkei-Deal zu retten. Das führte zu Spannungen und resultiert jetzt in Unruhen, Straßensperren und Angriffen gegen humanitäre Helfer.“ Dabei macht er auch auf den Tod eines Kindes an der türkisch-griechischen Grenze aufmerksam, der als Folge der Eskalation einzuordnen ist. Doch hiermit nicht genug: Menschen, die sich für die Hilfsbedürftigen einsetzen, müssen „aus Sicherheitsgründen ihre Arbeit reduzieren.“ Was sich schon beim Thema Seenotrettung zeigte, wird nun also auch an Land praktiziert: Die Bekämpfung humanitärer Hilfe wird als legitimes politisches Mittel erachtet, um Menschen 'abzuschrecken' nach Europa zu kommen.

Massive Missachtung der Kinderrechte

Bei in Deutschland aktiven Verbänden und Hilfsorganisationen sorgt das Vorgehen der EU und der griechischen Regierung für Entsetzen. Mit Blick auf die Lage der ca. 3000 Kinder und Jugendlichen auf Lesbos empört sich z.B. Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes: „Die Zustände sind eine Schande für die Europäische Union. In Moria wird die medizinische Versorgung ausschließlich durch Hilfsorganisationen geleistet. Kaum ein Kind dort besucht eine Schule. Den Kindern werden ihre verbrieften Rechte auf Gesundheit und Bildung vorenthalten.“ Aus diesem Grund positioniert sich Hilgers klar und deutlich gegenüber den politisch Verantwortlichen: „Ich fordere Herrn Seehofer auf, eine kurzfristige Lösung für die besonders gefährdete Gruppe der Kinder zu finden und den willigen Bundesländern und Kommunen die Aufnahme zu erlauben“, womit er auf das Bekunden mehrerer deutscher Städte hinweist, Kinder und Jugendliche aus dem Lager Moria aufnehmen zu wollen.  

Auch die SOS-Kinderdörfer halten das Vorgehen der politisch Verantwortlichen für unerträglich. Louay Yassin, Sprecher der SOS Kinderdörfer wetlweit, mahnt an, es müsse von Seiten der „gesamten EU" dafür gesorgt werden, „dass Flüchtlingskinder vor Gewalt geschützt sind und eine adäquate Versorgung erhalten“. Mit diesen Worten rückt er die akute Gefährdungslage der Kinder und Jugendlichen auf Lesbos in den Fokus. Denn ginge es nach den sonst üblichen Kindesschutz-Standards, wäre die Notwendigkeit einer Inobhutnahme der zahlreichen Minderjähirgen völlig unumstritten. Nur weil es sich um geflüchtete Kinder und Jugendliche ohne geregelten rechtlichen Status handelt, werden diese Standards nicht angewendet - ein offensichtlicher Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Dort heißt es in Artikel 22: „Können die Eltern oder andere Familienangehörige nicht ausfindig gemacht werden, so ist dem Kind im Einklang mit den in diesem Übereinkommen enthaltenen Grundsätzen derselbe Schutz zu gewähren wie jedem anderen Kind, das aus irgendeinem Grund dauernd oder vorübergehend aus seiner familiären Umgebung herausgelöst ist." Yassin stellt daher klar: „Die Sicherheit der Kinder ist nicht verhandelbar. Wir müssen sie jetzt aus der Gefahrenzone holen! Ein Flüchtlingscamp ist kein passender Ort für ein Kind."

Christliche Werte?

Besonders herausgefordert sind ob dieser massiven Verstöße die christlichen Wohlfahrtsverbände in Deutschland. Denn die Tatsache, dass die politisch Verantwortlichen in Deutschland, Österreich und anderen EU-Staaten ganz überwiegend der 'christdemokratischen' Parteienfamilie angehören, geht nicht spurlos an Caritas und Diakonie vorbei. Mit Blick auf das Werben des deutschen Innenministers Seehofer, der vergangene Woche weitere EU-Staaten zur Aufnahme geflüchteter Minderjähriger aufforderte, äußerte sich Caritas-Präsident Peter Neher: „Eine Lösung mit 27 Ländern wird es vermutlich nicht geben, aber wenn einige bereitwillige Länder mitmachen, wäre schon sehr viel geholfen“. Die EU müsse zeigen, „auf welchen Werten sie gründet“, so der Caritas-Präsident

Eine Hoffnung, die sich bislang nicht bestätigt, auch wenn es zwischenzeitlich eine erste (äußerst bescheidene) Einigung der Großen Koalition auf die Aufnahme einiger weniger Kinder und Jugendlicher gegeben hat. Vielleicht ist es an der Zeit, dass auch Caritas und Diakonie sich von alten parteipolitischen Bindungen lösen und den Druck auf 'christliche' Politiker*innen deutlich erhöhen. Die Lage in Griechenland zeigt es auf drastische Weise: Es ist Zeit für klares politisches Handeln im Sinne von Humanität und Nächstenliebe. 

Sebastian Hempel 

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Kommentare (2)

Barbara 09. März 2020, 16:25

Dieser Artikel spricht mir aus dem Herzen, und die Untätigkeit der Politiker macht mich wütend.

Moni 08. März 2020, 14:24

Ein toller Artikel über die derzeit wirklich ernstzunehmenden Probleme unserer Gesellschaft, die durch den Umgang und die Ignoranz der Politiker als Vorbildfunktion, beängstigend geprägt werden.

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