Eine Mutter tut das nicht!
Wie ich diese Allgemeinsätze hasse ... „Eine Mutter tut das nicht!"
„Na, Ja, Sie haben es doch selbst erlebt, dass eine Mutter auch sowas tut" entgegne ich. „Ja, aber für mich ist das keine Mutter" schimpft Frau K. Ich überlege blitzschnell ob ich das Gespräch nun auf ihre eigenen Erwartungen an sich als Mutter lenke oder auf die Beziehung von Frau K zu ihrer Mutter und frage: „was ist es denn genau, was eine Mutter nicht tut?"
„Sie hat uns einfach allein gelassen, tagelang waren wir eingesperrt, hatten nichts zu essen, und sie ist in der Stadt herumgezogen." „Sie war alkoholkrank, oder?" frage ich. „Nein, sie nicht. Er hat getrunken und geprügelt und sie ist immer mit ihm mitgegangen. Eine Mutter tut das nicht! Eine Mutter bleibt bei ihren Kindern!"
Ich denke, dass eine Mutter nicht unbedingt bei ihren Kindern bleiben muss. Wichtig ist, dass jemand da ist, und dass die Kinder liebevoll und verantwortlich betreut und versorgt werden. Das muss nicht unbedingt die leibliche Mutter sein, das muss nicht mal jemand aus der eigenen Familie sein und manchmal ist Wahlfamilie sogar besser als Blutsfamilie. Vielleicht würden weniger Mütter ihre Kinder im Stich lassen, wenn es nicht diesen ungeheuren moralischen Druck gäbe und die Mütter nicht immer für alles allein verantwortlich gemacht würden und - wo sind eigentlich die Väter? Auch Frau K richtet ihre ganze Wut auf die Mutter, dabei war es doch der Vater, der zuerst ging und die Mutter kam ihm hinterher.
Ich ärgere mich ein wenig, weil ich heute gar nicht auf ein emotionales Gespräch eingestellt bin. Verabredet war, dass ich heute eine Stunde mit Sophia spiele, damit Frau K in Ruhe ihre Hausaufgaben machen kann. Aber sie hat die Ausbildung abgebrochen. Es war ihr zu viel - ständig Videokonferenzen und gleichzeitig Kinderbetreuung, weil die Kita geschlossen war. Da hat sich Frau K für die Kinderbetreuung entschieden und gegen die Ausbildung. Ich finde das ärgerlich. Sie hätte noch ein bisschen durchhalten können, unsere Praktikantin hätte sich gerne mit der Vierjährigen beschäftigt und ich hätte auch mal eine Stunde Kinderbetreuung gemacht. Die sozialpädagogische Familienhilfe ist zwar kein Babysitterjob - aber hier hätte ich das vertreten können. Ich unterstütze Mütter, die an sich selbst denken und ich bin überzeugt davon, das Beste, was einem Kind passieren kann, ist eine Mutter, die mit sich und ihrem Leben zufrieden ist.
Frau K war so glücklich, als das JobCenter ihr die Finanzierung der Ausbildung zugesagt hat. Sie wollte alles anders machen, als ihre eigene Mutter. Frau K hat den Schulabschluss nachgeholt, hat sich getrennt, als sie schwanger war, sich also für das Kind und gegen den Mann entschieden, der seinen Drogenkonsum nicht einschränken wollte oder konnte. Sie kann mit wenig Geld haushalten und auch am Monatsende ist noch genug zu essen da. Ihre Wohnung ist immer blitzsauber - für meinen Geschmack etwas zu sauber und zu ordentlich und zu aufgeräumt. Ich mag es, wenn man den Wohnungen ansieht, dass da Kinder leben. Da müssen auch mal die Spielsachen herumliegen, Abdrücke von Kinderhänden die Fensterscheiben zieren und eine Höhle muss auch mal ein paar Tage aufgebaut bleiben. Mit meinen Ansichten habe ich Frau K ganz schön verwirrt. Sie dachte, wenn da eine von Jugendamt kommt – die ich ja gar nicht bin, ich bin nur vermittelt vom Jugendamt - muss erst recht alles aufgeräumt sein.
Da kommt die Vierjährige, strahlt übers ganze Gesicht und streckt der Mama ein Blatt entgegen. „Och, meine Süße, hast du etwas für mich gemalt?" und Frau K nimmt ihre Tochter in den Arm. „Das macht sie seit Muttertag", sagt Frau K und „schau'n Sie mal, hier". Frau K holt einen Papierstapel aus der Ablage unter dem Couchtisch hervor. Rote Herzen, bunte Blumen - alles für die Mama. „Weil du ja keine Mama hast", sagt Sophia und schaut ihrer Mutter ganz tief in die Augen - als ob sie darin lesen kann.
Ihre Katja Änderlich