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Open Access Tage 2023: Wissenschaft und das Wagnis der Öffentlichkeit

„Visionen gestalten“ – unter diesem Motto brachten die Open Access Tage vom 27. bis 29. September Akteur:innen aus Wissenschaft, Bibliotheks- und Verlagswesen zusammen. Dabei zeigte sich: Die Transformation zur freien Zugänglichkeit wissenschaftlicher Publikationen ist in vollem Gange. Der Wandel bringt neue Möglichkeiten, braucht neue Organisationsmodelle, und schafft stellenweise neue Hürden.

Open Access in Berlin: ein wichtiges Datum jährt sich

An der Organisation der diesjährigen Konferenz an der Technischen Universität Berlin waren 15 Berliner Hochschulen und Universitäten beteiligt. Das Datum erinnert an einen Meilenstein der Open-Access-Bewegung: Vor 20 Jahren erschien hier die Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen. Seitdem ist Open Access zu einem zentralen Teil wissenschaftlichen Publizierens geworden.

Dieser Prozess bringt weitreichende Veränderungen mit sich, die in Keynotes und Vorträgen, Workshops, einer Postersession und einer Podiumsdiskussion diskutiert wurden. Zudem bot die Konferenz Gelegenheiten zur Vernetzung, wie Speeddating und ein Social Event.

Die Transformation gestalten – aber wie?

Diese Frage wirft Henriette Rösch in der ersten Keynote auf. Rösch ist seit 2017 Leiterin des Bereichs Bestandsentwicklung und Metadaten an der Universitätsbibliothek Leipzig. Wie sie berichtet, wachsen oder etablieren sich an den Universitäten – und hier vor allem in den Bibliotheken – ganz unterschiedliche Open-Access-Strukturen.

Gestaltung und Management dieser Strukturen sind inzwischen zu einer Kernaufgabe der Universitätsbibliotheken avanciert, deren Personal teils eher „Publikationsmanager:innen“ als „Katalogisierer:innen“ gleiche. Wichtig sind hier zum Beispiel die Open-Access-Referent:innen und ‑beauftragten der Hochschulen, aber auch weitere Mitarbeiter:innen, die Aufgaben im Themenfeld frei zugänglicher Publikationen übernehmen.

So entstehen neue Tätigkeitsbereiche, die neue – und noch nicht in den einschlägigen Bildungswegen abgedeckte – Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern. Diese Bereiche liegen oft „quer“ zu den aktuellen Personalstrukturen. Sie manifestieren sich inzwischen auch in der Personalplanung der Bibliotheken und in ihrer Kooperation mit externen Akteur:innen. Insgesamt erfordern sie ein hohes Maß an Vernetzung und Austausch: „Open Access“, so Rösch, „ist schon lange keine Insel mehr“.

Das Wagnis der Öffentlichkeit – für Wissenschaft und Kunst

„Nur wer sein Leben und seine Person mit in das Wagnis der Öffentlichkeit nimmt“, zitiert Vera Meyer in einer weiteren Keynote Hannah Arendt, „kann sie erreichen.“ Open Access ermöglicht genau diese Öffentlichkeit und sei deshalb ein notwendiges Wagnis, um die großen Zukunftsfragen anzugehen.

Um nicht nur Fachkreise einzubeziehen, sucht Meyer die Kollaboration von Wissenschaft und Kunst. Selbst Bildende Künstlerin und Inhaberin des Lehrstuhls für Molekulare und Angewandte Mikrobiologie an der TU Berlin, berichtet sie aus der Praxis dieser Verbindung: Gemeinsam untersuchen Biologie, Architektur und Ingenieurswissenschaften beispielsweise neue Szenarien für mögliche zukünftige Wohn- und Lebenswelten. Dabei geht es um organische Baustoffe aus Pilzen. Exemplarische Gebäude wie der MY-CO SPACE machen diese mögliche Zukunft an öffentlichen Orten erfahrbar, sodass sie für mehr Menschen vorstellbar wird. Dieses Denkbarmachen des Möglichen, so Meyer, schafft Wissenschaft nicht allein. „Das Große denken“ gelinge erst im Interdisziplinären, im Dialog mit der Kunst.

Der Open-Access-DEAL: nicht mehr als eine Verschiebung der Kosten?

Groß gedacht sind auch die Publikationsverträge, über die im Open-Access-Kontext verhandelt wird. Diese Verhandlungen übernimmt seit 2014 das DEAL-Konsortium, eine Allianz deutscher Wissenschaftsorganisationen. Ihr Ziel sind einheitliche Vereinbarungen der Hochschulen und Universitäten mit den größten Verlagen für wissenschaftliche Zeitschriften, sodass die Kosten für Open-Access-Publikationen abgedeckt werden.

Wie in der Podiumsdiskussion darüber – moderiert durch Angela Holzer von der Deutschen Forschungsgesellschaft – immer wieder deutlich wird, sind mit diesen Verträgen jedoch weiterhin erhebliche und aus Sicht der Publizierenden nicht immer nachvollziehbare Kosten verbunden. Hinzu kommt, dass Buchpublikationen bislang nicht abgedeckt sind und kleinere Verlage erst gar nicht erreicht werden. Zumindest Letzteres soll sich im kommenden Jahr teilweise ändern.

Insgesamt bringt die Open-Access-Transformation für die Universitäten nicht unbedingt eine Reduktion, sondern eine Verschiebung der Kosten mit sich: Subskriptionskosten, mit denen für den Zugang zu Literatur bezahlt werden musste, entfallen teilweise, aber gleichzeitig entstehen neue Gebühren für das Publizieren. Dementsprechend durchzieht die Tagung auch die Diskussion alternativer Finanzierungsmodelle wie Crowdfunding.

„Access denied!“ Neue Wege, neue Barrieren?

Hohe Publikationskosten sind nicht die einzige Hürde, die modernes Veröffentlichen bereithält. Dies erläutert in der letzten Keynote Amrei Bahr, Juniorprofessorin für Philosophie der Technik und Information an der Universität Stuttgart und Mitinitiatorin von #IchBinHanna, der Twitter-Protestaktion gegen prekäre Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft.

Wie Bahr berichtet, bildet die Wissenschaft selbst mit ihren Kettenverträgen, Erwartungen der Selbstausbeutung Forschender und des akademischen Habitus ein exkludierendes Umfeld. Hürden freier Wissenschaft finden sich jedoch auch in den Finanzierungs- und Förderstrukturen des Forschens. So werden häufig nur bestimmte, aktuell virulente Themen gefördert und Wissenschaft dadurch stark gelenkt – obwohl, so Bahr, nie absehbar ist, welche Themen unsere Zukunft prägen und welches Wissen wir brauchen werden.

Open Access entfernt die Bezahlschranke der Literatur und bildet damit einen wichtigen Schritt zur Diversifikation der Wissenschaft. Die Open-Access-Transformation selbst muss jedoch sorgsam angegangen und auch darin Diversität umgesetzt werden. Dabei liegt die Gestaltung der Publikationsstrukturen Bahr zufolge auch ein Stück weit in der Hand der Wissenschaftscommunity selbst. Das Wichtigste auf diesem Weg: Erkenntnis nicht in Konkurrenzdenken, sondern als Gemeinschaftsprojekt anzugehen. Auch das ist ein Wagnis.



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Kommentare (1)

G. Schömer 20. November 2023, 04:42

Es wäre schön den Vorgang der Wissensschaffung schon in seinem Beginn öffentlich zu machen und gemeinsam öffentlich (aber begleitet) durchzuführen. Der Start wäre eine für alle frei zugängliche Brainstorming-Plattform, die die Sammlung von Ideen ohne jegliche Wertung und Kommentierung ermöglicht und dokumentiert. Darauffolgend die weiteren Stadien des Brainstorming..... usw.

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