Sophia (25)
Betreuerin bei einer Straßenzeitung

17.03.2024

Sophia, 25, ist im sozialen Berufsfeld aktiv, seit sie begann, Soziale Arbeit zu studieren. Vier Jahre lang war sie ein einem Drogenkonsumraum als studentische und pädagogische Hilfskraft in der Suchthilfe tätig. Seit 2020 arbeitet die gelernte Sozialarbeiterin in der Wohnungs- und Obdachlosenhilfe, aktuell als Betreuerin bei einer Straßenzeitung. Im Interview erzählt sie von ihrem Weg in das Berufsfeld, teilt ihre Tipps, um Stillstand im Arbeitsalltag zu vermeiden und verschafft uns Einblicke in die Arbeitsabläufe bei einer Straßenzeitung.

Porträtfoto von Sophia Foto: Momen Mostafa

Warum wolltest du einen sozialen Beruf ergreifen?

Ich habe mein Abi gemacht und danach ging es mir so wie ziemlich vielen, dass ich gar keine Ahnung hatte, wo es hingeht. Ich dachte eigentlich immer, dass ich etwas in Richtung Sprachen studieren werde und habe dann nach dem Abi aber erst mal ein Jahr lang einen Bundesfreiwilligendienst in einer Kita gemacht. Ich habe aber schnell gemerkt, dass die Arbeit mit Kindern auf jeden Fall langfristig nichts für mich ist.

Ich habe im Abi einen Lehrer gehabt, der mir damals gesagt hat, dass er sich sehr gut vorstellen kann, dass ich mal in einem sozialen Beruf arbeite und es in der Stadt einen Container am Bahnhof geben, wo Obdachlose versorgt werden. Das ist mir irgendwie die ganze Zeit im Gedächtnis geblieben. Dann habe ich mich irgendwann mal damit auseinandergesetzt, was es so für soziale Berufe gibt. Soziale Arbeit hat mich direkt angesprochen, weil der Bereich so breit gefächert ist und ich mich nicht direkt festlegen musste, also habe ich mich auf gut Glück beworben und es hat geklappt. Ich habe damals auch meinen Bundesfreiwilligendienst früher abgebrochen, weil ich die Stelle unbedingt haben wollte.

Decken sich deine Erwartungen vor dem Studium mit deiner aktuellen praktischen Erfahrung?

Ich habe tatsächlich schon öfter überlegt, was ich damals erwartet habe. Ich glaube, die Wunschvorstellung, dass ich jeden Tag gerne zu meiner Arbeitsstelle gehe und diesen Beruf mache, in ihm aufgehe und dass ich persönlich etwas dadurch zurückkriege, wenn ich Menschen helfe, war ein bisschen klischeehaft. Es ist immer noch so, dass ich gerne zur Arbeit gehe, aber ich glaube, jeder hat mal Phasen, wo es nicht so ist. Das hängt dann aber meistens nicht direkt mit der Arbeit zusammen, sondern mit dem ganzen Drumherum. Ich hatte auch die Erwartung, viel mehr erreichen zu können.

Ich habe immer groß gedacht, habe dann aber schnell gemerkt, dass ich auf dem Boden der Tatsachen angekommen bin. Die Rahmenbedingungen erlauben es einem gar nicht. Alleine schon rechtlich oder finanziell gesehen. Vor allem viele soziale Einrichtungen haben nicht die Mittel, um großartig was zu reißen.

In diesem Punkt wurden meine Erwartungen nicht getroffen. Aber ich erlebe jeden Tag, dass ich viel für mich persönlich und für meine Entwicklung zurückkriege. Die Dankbarkeit, die man kriegt und dass man von diesen Menschen so viel für sich selbst lernen kann. Das merke ich immer wieder, wenn ich mit Klienten arbeite.

Welche Aufgaben übernimmst du bei der Straßenzeitung?

Bei der Straßenzeitung sind wir in Redaktionen aufgeteilt. Hier arbeiten Journalisten und Journalistinnen ganz normal. Ich bin im sozialen Bereich tätig und vordergründig für die Betreuung der Verkaufenden zuständig. Beim Straßenmagazin haben wir natürlich Verkaufende, die bedürftig sind. Dabei geht es darum, die Leute auf den Arbeitsmarkt zurückzukriegen und ihnen eine Tagesstruktur zu vermitteln, dadurch, dass sie eben Zeitungen verkaufen. Die Zeitung wird komplett im Haus entwickelt und ist regional. Es geht viel um lokale Themen: Wie sieht es in der Szene aus? Was gibt es für sozialpolitische Themen? Im Vertrieb wird die Zeitung an die Leute ausgegeben und sie verkaufen sie dann auf den Straßen. Sie kaufen die Zeitung für 1,10 € und verkaufen sie für 2,20 € weiter.

Ich bin dafür zuständig, Leute zu akquirieren, die die Zeitung verkaufen möchten. Ich betreue unsere bestehenden Verkäufer:innen in allen möglichen Fragen, egal ob es um rechtliche Themen geht, ob ich sie zum Arzt begleite oder im Krankenhaus besuche.

Ich bin auch für die aufsuchende Sozialarbeit zuständig. Das heißt, ich bin einmal in der Woche auf der Straße unterwegs und versorge die Wohnungs- und Obdachlosen-Szene mit allem möglichen. Ganz hoch im Kurs sind Süßigkeiten und Taschentücher. Wir bieten auch soziale Stadtrundgänge an, die von Betroffenen, die selbst mal auf der Straße gelebt haben, durchgeführt werden. Dabei werden Orte hier abgeklappert, wo sie Platte gemacht haben und es werden soziale Einrichtungen erklärt. Ich selbst mache auch einen Rundgang, mit dem Schwerpunkt  „Frauen auf der Straße“.

Gibt es Vorurteile, mit denen man sich auseinandersetzen muss?

Wir begegnen oft dem Klischee, dass viele denken, die Straßenzeitung sei von Obdachlosen für Obdachlose. Das ist nicht so, wir sind ein soziales Magazin und keine Obdachlosenzeitung. Alle, die bei uns Zeitungen verkaufen, sind in irgendeiner Form bedürftig. Wir haben viele, die von Altersarmut betroffen sind, also viele Rentner:innen, die sich was dazuverdienen müssen. Wir haben aber auch viele, die aus gesundheitlichen Gründen in Frührente gehen mussten oder einfach nicht mehr für den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt geeignet sind. Wir haben auch Leute aus der Punkszene. Wir haben aber momentan niemanden, der wirklich obdachlos ist, die haben wir alle in den letzten Jahren erfolgreich vermittelt. Es wird nicht auf dem Papier überprüft, ob die Menschen bedürftig sind – alle, die hierherkommen, werden in irgendeiner Form bedürftig sein. Freiwillig stellt sich kaum jemand auf die Straße und verkauft Zeitungen. Deswegen kriegen alle, die hierherkommen, eine Chance.

Was für begleitende Möglichkeiten bietet ihr nach einer Betreuungsphase und welche sollte es noch geben?

Die meisten, die hier sind, sind wirklich von Anfang an dabei, über viele Jahre hinweg. Das ist jetzt ihr Hauptverdienst und wir begleiten sie in allen Lebenslagen. Vor zwei Jahren hatten wir jemanden, der die Zeitung über zehn Jahre hinweg verkauft hat und jetzt wieder einen ganz normalen Job als Hausmeister hat. Wir haben geholfen ihn zu vermitteln und stehen immer noch mit ihm in Kontakt. Wir haben einige hier, wo wir das Potenzial sehen, auch viele Jüngere, denen wir sagen: „Möchtest du nicht lieber eine Ausbildung oder so machen?“ Da helfen wir dann und begleiten die Leute langfristig auf ihrem Weg.

Es sollte viel mehr solcher niedrigschwelligen Arbeitseinstiegsangebote geben, wie das, was wir jetzt hier haben. Über das Jobcenter gibt es auch viele dieser Ein-Euro-Jobs und sowas. Das Besondere bei der Straßenzeitung ist, dass die Leute sich komplett selbst strukturieren können. Es sei denn, sie möchten mehr Hilfe und Unterstützung haben, dann geben wir das auch. Sie können sich ganz frei einteilen, wann sie arbeiten gehen, aber sie müssen schauen, wie viel Geld ihnen zur Verfügung steht und wie sie sich das alles einteilen.

 Ich denke, es sollte mehr Angebote geben, die diese Hilfe zur Selbsthilfe fördern, damit die Leute eigenständig ihren Weg schaffen und nicht das Gefühl haben, dass sie alleine nichts hinkriegen.

Magst du von einem Erfolgsmoment erzählen?

Ich hatte letztes Jahr ein Paradebeispiel. Ich hatte einen Klienten, der seit Jahren Platte gemacht hat und in ganz Deutschland unterwegs war, von Stadt zu Stadt gezogen ist und dann letztes Jahr wieder nach zurück in die Stadt gekommen ist und gesagt hat: „Ich schaff nicht noch einen Winter auf der Straße.“ Das war aber schon im September, dann mussten wir gucken. Ihm haben auch die Leistungszusprüche gefehlt, er hat noch kein Geld vom Amt bekommen, weil er noch nicht richtig gemeldet war, somit hatte er eine sehr schlechte Chance, in irgendein Wohnprojekt zu kommen. Wir haben dann alles daran gesetzt, viel diskutiert und rumtelefoniert und es dann letztendlich geschafft, dass er Leistungen bezieht. Das war schon mal krass. Dann hat er zum ersten Mal Geld bekommen und von seinem ersten Geld, was er bekommen hat – man muss es sich vorstellen, er lebt auf der Straße, er hat nichts für sich selber, aber von seinem ersten Geld hat er Pralinen gekauft, eine Karte geschrieben, ist hierhergekommen und hat sich tausendmal bedankt. Im nächsten Schritt haben wir es geschafft, dass er im November in ein Wohnprojekt einziehen konnte. Seitdem schickt er mir wirklich alle zwei Wochen Fotos: Das erste Mal hat er selbst gekocht, das erste Mal hat er sich eine Gardine gekauft. Er hat sich jetzt von seinem Geld, was er durch den Verkauf hier erzielen konnte, einen gebrauchten Fernseher gekauft, sowas hatte er seit Jahren nicht. Dann hast du halt hier so einen 54-jährigen Mann stehen, der weint, weil er so dankbar ist und das sind dann diese Momente, die einem persönlich super viel geben.

Welche schwierigen Erfahrungen hast du gemacht?

Es kommt immer auf die Arbeitseinstellung an. Bei meiner vorherigen Arbeit hat man sich schon oft gedacht: „Da muss man doch mal was machen!“ Ich bin eigentlich so, dass ich jeden Lebensentwurf akzeptiere und sage, wenn die Person jetzt Drogen konsumieren möchte, weil sie denkt, nur so überlebt sie vollkommen, dann ist das okay. Ich hatte aber auch viel mit Klientinnen zu tun, die zum Beispiel schwanger waren und jeden Tag keine Ahnung wie viele Pfeifen Crack geraucht haben, aber da selbst nicht rauswollten und konnten. Die waren so zwischen 16 und 20, wo ich dann mit Anfang 20 gedacht habe: „Irgendwie muss es doch einen Weg geben, die da rauszuholen.“ Das war schwierig, es war für mich auch ein jahrelanger Prozess, das für mich selbst zu verstehen. Du kannst einfach nicht alle retten. Das sind immer wieder Momente, die man sich ins Gedächtnis rufen muss.

Ich denke, dass man in diesem Beruf nicht allen helfen kann und bei manchen ist es schon Leben retten, wenn sie am nächsten Tag wieder auftauchen. Wenn man sie einmal in der Woche sieht, ist das schon ein Erfolg. Wenn sie irgendwann selbst bereit sind und raus wollen, dann sollte man ihnen auch helfen, aber man sollte nicht mit der Einstellung in diesen Beruf gehen, die ganze Welt retten zu wollen.

Gibt es Angebote oder Aufklärungsarbeit, die solche Fälle von vornherein verhindern könnten?

Ich glaube, das ist ein bisschen utopisch. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn man über solche Themen wie Konsum, Wohnungs- und Obdachlosigkeit frühzeitig aufklären und sensibilisieren könnte, also schon in der Schule anfangen würde. Wir haben hier auch ein Angebot, wo wir mit einer betroffenen Person in die Schule gehen und die Kinder Fragen stellen können, weil wohnungs- oder obdachlos sein einfach immer noch so stigmatisiert ist. Man hat ein bestimmtes Bild vor Augen von den Menschen und wie sie da gelandet sind, aber das ist ja super individuell und kann dir und mir genauso schnell passieren. Man müsste schon sehr früh anfangen, die Leute aufzufangen bzw. die Kinder und Jugendlichen zu unterstützen, damit sie gar nicht erst in diese Lage kommen.

Hast du Tipps für angehende Sozialarbeiter:innen?

Ich würde sagen, man sollte sich wirklich die Zeit nehmen, um auszuprobieren. Das ist das Wichtigste, weil Soziale Arbeit super breit gefächert ist und man da das Arbeitssetting für sich finden muss, für das man auch brennt.

Wenn man nicht für das brennt, was man da jeden Tag tut, dann macht es für beide Seiten keinen Sinn. Für die ratsuchende Person nicht, aber auch für mich selbst nicht. Ich sage immer: „Es ist okay, sich auszuprobieren.” Ob ich ein Praktikum mache oder ein halbes Jahr in einem Job arbeite und dann merke, dass es nichts für mich ist – man sollte es einfach ausprobieren.

Das würde ich auf jeden Fall jedem raten. Außerdem sollte man schon im Studium so viel Praktikumserfahrung sammeln wie möglich, um dann zu entscheiden, wo man hin möchte.

Zusätzlich ist es wichtig zu schauen, dass ich nicht stehen bleibe. Ich habe gemerkt, dass man immer versuchen sollte, sich weiterzubilden und zu gucken, was einen interessiert, damit man nicht in diesen Arbeitstrott verfällt, wo man jahrelang im Job sitzt und so richtig griesgrämig wird. Das kennt man von vielen aus der Sozialen Arbeit, die schon seit über zehn Jahren im selben Beruf stecken und sagen: „Ey, ich höre die Geschichten jeden Tag, ich kann es nicht mehr hören.“ Das darf nicht passieren. Deswegen sollte man aufpassen, dass man nicht stillsteht, sondern sich selbst immer versucht weiterzuentwickeln.

Wie schaffst du es, Stillstand entgegenzuwirken?

Ich war vorher in einem Arbeitssetting, wo ich dachte, das sei etwas, was ich ewig machen könnte, aber habe dann gemerkt, dass mir das einfach zu niedrigschwellig war. Es war dann einfach viel Kaffee ausschenken, Gespräche führen und gucken, dass niemand stirbt, salopp gesagt. Bei meiner jetzigen Tätigkeit habe ich mir meine Bereiche so gestaltet, wie es mir gefällt, in Abstimmung mit der Geschäftsführung natürlich. Ich habe darauf geachtet, dass es nicht nur ein stumpfer Bürojob ist, sondern dass ich auch rausgehe, die Möglichkeit habe, Fortbildungen zu machen und meine Hündin Tara mitnehmen zu können, die ich mit in meine Arbeit einbinde. Ich habe geschaut, was ich persönlich brauche, um glücklich zu sein und das versuche ich auf mein Arbeitsleben zu übertragen. Bei mir ist es so, dass ich immer in Kontakt mit Menschen sein muss. Ich muss mich auf Augenhöhe austauschen sowie offen und ehrlich mit den Leuten sprechen können. Da habe ich hier ein Arbeitssetting gefunden, wo das komplett für mich passt.

Ich möchte meine Hündin langfristig als pädagogische Begleiterin ausbilden lassen. Da gibt es die Nische, Hunde sozio-empathisch auszubilden. Das heißt, dass sie einfach nur in Beratungsgesprächen anwesend ist und Ruhe ausstrahlt. Jetzt ist sie noch ein Baby, ein Jahr alt, da ist noch nichts mit Ruhe, aber das kommt hoffentlich noch. Ich merke es jetzt schon, dass die Stimmung eine ganz andere ist, wenn ich in Beratungsgesprächen bin und der Hund dabei ist. Die Leute werden nicht so schnell aufbrausend und wenn man Tara streichelt, fährt man einfach schneller runter. Ich denke, das ist eine gute Chance, in dem Bereich gerade auch psychisch erkrankten Menschen helfen zu können.

Was wird benötigt, damit Soziale Arbeit besser funktioniert und die Menschen bekommen, was sie brauchen?

Das kann man in zwei Richtungen beantworten. Zum einen denke ich, dass die Stellen, die erreichen wollen, dass die Menschen, die Hilfe brauchen, sie auch kriegen, viel mehr Unterstützung und Aufmerksamkeit benötigen. Dabei meine ich alle sozialen Berufe, egal ob pflegerische, heilende oder soziale Arbeit. Die Bezahlung ist wirklich lachhaft für das, was die Leute jeden Tag leisten, da muss einfach mehr passieren. Es braucht mehr Anerkennung und gerechte Bezahlung für das, was man jeden Tag leistet, sowie mehr Zuschüsse für die ganzen Einrichtungen, damit wir mehr leisten können durch Projekte, um die Leute aufzubauen sowie aufzufangen.

Es gibt so viele Möglichkeiten, so viele tolle Einrichtungen, die richtig viele Ideen haben, aber sie nicht durchsetzen können, weil die Gelder fehlen. Es gibt auch Einrichtungen, die jedes Jahr aufs Neue um ihre Stelle bangen müssen, weil die Finanzierung nur auf ein Jahr begrenzt ist. Bei mir ist es auch so, ich glaube, ich habe die einzige Stelle in ganz Niedersachsen, die durch Spenden finanziert ist. Ich werde nicht gefördert und sollte die Zeitung irgendwann keine Spenden mehr bekommen, dann existiert meine Stelle auch nicht mehr. Man muss sich bewusst sein, dass es ein Konzept ist. Wenn es diese Berufe nicht gäbe, wo wäre die Gesellschaft dann? Das muss sich ändern. Wir finanzieren uns eigentlich zu 100 % selbst durch Spenden von Personen aus Spender-Kreisen, die wir haben, aber auch durch unsere Zeitschrift, durch den Verkauf sowie Werbung und Anzeigen, die wir darüber schalten, aber wir kriegen sonst keine Unterstützung.

Auf der anderen Seite muss sich das Denken der Gesellschaft in Bezug auf das Klientel ändern. Ob drogenkonsumierende, wohnungs- oder obdachlose Menschen, die Leute sollten nicht in ein gesellschaftliches Bild gezwängt werden. Man kann nicht sagen: „Nur wer keine harten Drogen konsumiert, ist lebensfähig.” So funktioniert die Realität nicht. Jeder Mensch sollte selbstbestimmt entscheiden können, wie er leben möchte. Erst wenn die Person bereit ist, einen anderen Weg zu gehen, dann unterstützt man sie. Aber das höchste Ziel sollte in keinem Fall Abstinenz sein.

Hättest du dir vorstellen können, etwas anderes als Soziale Arbeit zu studieren?

Früher dachte ich immer, ich gehe in Richtung Germanistik und Sprachen. Das lag mir schon immer sehr. Wenn ich heute darüber nachdenke, dann glaube ich, ich wäre so oder so in dieser Nische des Sozialen gelandet. Ich habe mich die letzten Jahre auch mit Themen beschäftigt wie individuelles Mental Coaching und Persönlichkeitsentwicklung. Das hat mich früher schon sehr interessiert, weil ich schon immer ein sehr reflektierender Mensch war. Ich glaube, das wäre es geworden, also irgendwie wäre ich doch in dem Bereich gelandet, um Menschen helfen zu wollen.

Was würdest du dir für dein Berufsfeld wünschen?

Alles, was ich gesagt habe, ist eigentlich viel Wunschdenken. Ich wünsche mir, dass ich irgendwann nur noch einen Hauptjob brauche. Momentan ist es so, dass ich noch einen Nebenjob habe, damit ich irgendwie über die Runden komme. Ich wünsche mir, dass sich das irgendwann mal ändert und eine faire Bezahlung erbracht wird in allen sozialen Berufen. Ich wünsche mir für den Job, den ich jetzt gerade mache, dass das Thema Straßenzeitung nicht langfristig ausstirbt, weil wir, glaube ich, alle ein bisschen Angst davor haben, da die Zeitung ein aussterbendes Medium ist. Vieles passiert nur noch online, aber online funktioniert das Konzept vom Straßenzeitungsverkauf einfach nicht. Da bin ich gespannt und hoffe, dass es dafür eine Lösung gibt, die alle glücklich stellt. Für die Soziale Arbeit wünsche ich mir, dass es immer Leute gibt, die darauf Bock haben und die auch langfristig dabei bleiben und dass sie nicht nur Soziale Arbeit studieren, weil es gerade modern ist, weil die Leute denken, das Studium sei einfach. Das ist es nicht, aber ich hoffe, dass es immer weiter Menschen geben wird, die einfach Bock haben, das zu machen.

Braucht Soziale Arbeit politisches Engagement?

Ich glaube, wenn wir allgemein besser organisiert wären in unserer Profession, dann würde sich schon einiges ändern. Ich habe mir in meinem Job viel politisches Engagement angeeignet. Ich treffe mich nächste Woche zum Beispiel mit einer Partei. Ich denke, dass es wichtig ist, sich damit auseinanderzusetzen und nicht mit Scheuklappen durchs Leben zu gehen und zu denken: „Irgendjemand kümmert sich schon darum.“ Wir Sozialarbeiter, wir müssen auch selber dafür einstehen und kämpfen. Ich denke, das erreicht man halt nur über die Politik, indem wir uns da einfach ein bisschen besser organisieren und auf dem Laufenden bleiben.


Interview & Porträt: Momen Mostafa

Textbearbeitung: Maria Fridman

 

 

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