Jan, 27
Pfleger für Menschen mit Schädel-Hirn-Trauma und angehender Sozialarbeiter

17.04.2024

Jan, 27, ist gelernter Gesundheits- und Krankenpfleger und hat nach seiner Ausbildung drei Jahre auf einer akut psychiatrischen Station gearbeitet. Mittlerweile studiert er Soziale Arbeit und ist nebenbei in einer Pflegeeinrichtung mit Schwerpunkt auf Pflege für Menschen mit Schädel-Hirn-Verletzungen tätig. In diesem Interview teilt er Einblicke in seine Erfahrungen mit der Arbeit im Pflegebereich sowie im Studium.

Porträfoto von Jan Foto: Momen Mostafa

Wie kamst du dazu, Soziale Arbeit zu studieren?

Während Corona habe ich noch auf einer der Corona-Stationen gearbeitet sowie in der Klinik und gemerkt, wie die Anforderungen und die Belastung, die eh schon hoch waren, auch während Corona immer höher wurden. Es gab davor schon ein hohes Arbeitsaufkommen, Personalmangel, hohe Arbeitsbelastung und Schichtdienst, das Einkommen war niedrig und dazu kamen weitere Probleme, die in der Pflege bekannt sind. Das hat mich dann immer mehr motiviert, mich noch mal neu zu orientieren, mich weiterzuentwickeln. Gerade auch, da der Trend dahin geht, dass in den Pflegeberufen für Aufstiegschancen auch ein Studium erforderlich ist. Also eine 50-jährige Chefin hat noch ihr Studium nachgeholt und alle neuen Leiter:innen, die so gekrönt wurden, die hatten dann bereits studiert.

Das Studium der Sozialen Arbeit an der Hochschule bietet zahlreiche Seminare und Vorlesungen im Bereich der Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit an. Auch andere sozialarbeiterisch relevante Themen wie Ethik, Recht und Psychologie werden dort angeboten. Das habe ich auch so erwartet. An der Sozialen Arbeit im Studium gefällt mir gerade besonders diese individuelle Schwerpunktsetzung, die man machen kann. Trotz des generalistischen Studiengangs konnte ich jetzt früh Themen und Konzepte mit raussuchen, die mich interessieren und mich in ihnen einarbeiten. Dahingehend schätze ich das Studium sehr.

Wieso hast du entschieden, nebenberuflich in der Pflege zu bleiben?

Ich habe einen Nebenjob gesucht und festgestellt, dass es einfach schwierig ist, im psychiatrischen Bereich einen Nebenjob zu finden. Meist wird erwartet, dass man mindestens 20 Stunden arbeitet, was neben dem Studium schwierig wäre. Ich habe mich dann dafür entschieden, etwas eher körperliches zu machen, auch um einen Ausgleich zum vielen Sitzen im Studium zu haben. Und jetzt arbeite ich auf einer Station, wo ich Menschen mit Schädel-Hirn-Trauma betreue. Man nennt das auch Apallisches Syndrom. Viele Menschen sind nach einem Sturz im Wachkoma, konnten sich nicht richtig rehabilitieren und sind jetzt eingeschränkt in allen Aktivitäten ihres Lebens. Also können sie sich nicht alleine waschen, nicht alleine essen, nicht alleine bewegen und benötigen dann eine komplette Übernahme der Pflege, um zu leben.

Wie sind die Arbeitsbedingungen in diesem Bereich?

Es ist so aufgeteilt, dass die Behandlungspflege für circa 25 Menschen von einer Altenpflegerin oder einem Altenpfleger übernommen wird und die Grundpflege übernimmt ein:e Pflegehelfer:in oder eine Pflegefachkraft. Meistens sind es aber Pflegehelfer:innen, die übernehmen dann 6 bis 8 Patienten und Patientinnen und machen alles. Das ist körperlich wirklich sehr anstrengend und ich habe auch schon mitbekommen, dass wenn es irgendeinen erhöhten Pflegeaufwand bei einer Person gibt, bei anderen Personen eine gescheite Versorgung hinten rüber fällt.

Also ein hohes Arbeitsaufkommen und wenig Personal, dadurch entstehen auch die meisten Probleme. Viele Kollegen und Kolleginnen sind dadurch gestresst, weshalb noch mehr Personalausfälle dazukommen.

Erlebst du bei deiner Arbeit auch schöne Momente?

Also schön ist es, wenn Menschen es schaffen, ihre Lebenswelt so zu gestalten, wie sie das möchten. Wenn sie es schaffen, herauszufinden, was sie wollen, was ihnen wichtig ist und wie sie es trotz Einschränkungen durch Krankheiten, von Außen oder durch die Gesellschaft schaffen und somit auch Regisseure ihrer eigenen Lebensbiografie werden. Und das finde ich schön. Da geht es jetzt nicht darum, dass ich das geleistet habe oder dass das Hilfesystem so super ist und das geschafft hat, sondern darum, dass der Mensch es geschafft hat, die zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen.

Hast du dabei schon negative Erfahrungen gemacht?

Ein schlechter Moment ist, wenn man mitbekommt, wie Menschen durch andere Menschen große Probleme in ihrem Leben haben und sie dann auch Hilfe nicht annehmen können oder fremdaggressiv werden. Also solche Momente, wo man hilflos ist, wo der Mensch hilflos ist und man selbst als professionelle:r Helfer:in auch. Das sind schlechte Momente.

Ein Beispiel ist, wenn eine junge Frau, die durch ihre Familie viel Gewalt erlebt hat in ihrem Leben, immer nur auf Abwehr ist und um sich schlägt und gar keine Hilfe zulassen kann aufgrund ihrer Erfahrungen, die sie in ihrem Leben gemacht hat. Der Weg dahin und dass sie ganz verzweifelt und suizidal wird. Das ist ein ganz schlechter Moment, das löst Hilflosigkeit bei allen aus.

Was wäre in so einer Situation nötig gewesen?

Natürlich kann man im Einzelfall schauen, dass man den Leuten dann die nötige Behandlung, die nötige Hilfe und die beste Unterstützung anhand von Konzepten und Methoden zukommen lässt. Das ist auch ein sehr politisches Thema.

Ich glaube, dass die Grundsteine dafür gelegt werden können, dass soziale Gerechtigkeit ermöglicht werden kann. Aber ich denke, so wirkliche soziale Gerechtigkeit, dass jeder die gleichen Chancen hat und den Unterstützungsbedarf bekommt, der benötigt wird, muss auf einer politischen Ebene erreicht werden.

Und natürlich kann jede:r einzelne Sozialarbeiter:in sich in einer Gewerkschaft organisieren und dort auch für solche Themen kämpfen. Also für angemessene Rahmenbedingungen.

Gibt es neben der Sozialen Arbeit noch andere Studiengänge, die dich interessieren?

Ja, ich wurde für Pflegewissenschaften angenommen, das war eine Möglichkeit, die ich mir überlegt hatte. Also mich dann weiter in die Pflege einzuarbeiten und dort dann auch eine Leitungsposition wahrnehmen zu können und auch bessere Bedingungen schaffen zu können für die Menschen, für die Mitarbeiter:innen.

Eine andere Option war die psychiatrische Pflege, um mich da besser aufzustellen, damit ich mehr Kenntnisse habe, wie man Menschen besser versorgen kann. Ich hätte mir Fachwissen aneignen können, um bessere Einzelfall-Hilfe leisten zu können.

Siehst du Probleme mit dem Thema Macht in der Sozialen Arbeit?

Ja, ich glaube, das ist eine Frage der Haltung. Dass man Menschen helfen möchte, ist eine gute Voraussetzung, wenn man im sozialen Bereich arbeitet, aber das heißt ja noch nicht, dass man Menschen helfen kann. Ich glaube, das muss man dann auch erstmal lernen und sich mit vielen Themen befassen. Und ja, in der Sozialen Arbeit hat man ja nicht nur mit sympathischen Menschen zu tun, sondern auch mit Menschen, die Täter:innen sind oder zu denen man auch erst mal eine persönliche Abneigung fühlt. Schließlich muss man sich ja trotzdem empathisch auf diese Personen einstellen.

Also ich finde das richtig gut, wenn man in seiner Arbeit auf Macht- und Autoritätsgefälle verzichten kann. Da gibt es auch bestimmte Konzepte, zum Beispiel das Empowerment Konzept. Das verzichtet komplett auf Macht- und Autoritätsgefälle.

Und das ist auch glaube ich das Wesentliche, dass man Menschen auf Augenhöhe begegnet, um ihnen helfen zu können. Es bringt nichts, wenn man von oben herab mit ihnen spricht, dann fühlen sie sich nicht ernst genommen. Das ist auch ein wesentlicher Schritt, dass man merkt, dass es da ein respektvolles Miteinander gibt.

Der Mensch, dem man potenziell helfen möchte, merkt: „Okay, der nimmt mich ernst, er ist auf meiner Seite“. Aber wenn es direkt eine hohe Barriere gibt, durch bestimmte Ansagen oder was man sich da so ausmalen kann, dann ist das Helfen nicht möglich.

Was denkst du über die Strukturen in diesem Bereich?

Oft sind es ja schon die Strukturen oder die Hilfesysteme, die halt so bestimmte Sanktionierungen durchführen. Zum Beispiel das Arbeitsamt oder die Sozialarbeiter:innen, die da arbeiten, die müssen das ja tun. Sie gucken dann: „Wirkt der mit? Ist er daran interessiert zu arbeiten?”, sonst werden die Leistungen gekürzt. Oder in der forensischen Arbeit, da werden dann Beurteilungen geschrieben und dieser Bericht ist dann maßgeblich dafür, wie lange Menschen dableiben.

Einerseits ist die Soziale Arbeit natürlich strukturell bedingt. Da ist es schon schwierig, auf Ausdrücke von Macht und Autorität zu verzichten, in bestimmten Bereichen besonders. Aber wenn man das als Ziel hat, dann glaube ich, dass es einfach menschlich ist, dass man den Menschen auf Augenhöhe begegnet, ihnen vermittelt, dass man ihnen helfen will, aber auch ihre Entscheidungen respektiert. Wenn ratsuchende Personen eine Entscheidung treffen, die ich jetzt nicht als hilfreich beurteile, kann ich vermitteln, dass es trotzdem okay ist: „Das ist deine Entscheidung. Ich lasse dir diese Entscheidung, du machst deine Erfahrung und ich begleite dich trotzdem dabei.”

Ich muss den Menschen nicht beurteilen oder ihn maßregeln, sondern ich muss signalisieren: „Du bist der Konstrukteur deines Alltags, das ist deine Verantwortung und ich begleite dich dabei.” Das ist, glaube ich, für mich das Wichtigste.

Ich finde, oft wird davon ausgegangen, dass es reicht, Menschen, die sich in einer Notlage befinden, mal zu helfen, und das ist dann die einmalige große Tat. Aber ich finde es viel besser, wenn man präventiv ansetzt, wenn man Menschen länger begleitet und für sie da ist und sich kontinuierlich mit ihnen auseinandersetzt, anstatt dann nur einzugreifen, wenn es schon eskaliert ist, wenn es zu spät ist und dann auch noch gar keine Beziehung da ist. Man sollte sich frühzeitig mit den Menschen beschäftigen und auf einer professionellen Ebene Vertrauen aufbauen - präventive Arbeit ist wichtig.

Was sind die wichtigsten Fragen, die man sich stellen sollte, wenn man überlegt Sozialarbeiter:in zu werden?

Es ist natürlich eine sehr herausfordernde Arbeit und die benötigt viel Fingerspitzengefühl. Die Frage ist eher, warum möchte man Menschen helfen? Macht man das, weil man Anerkennung haben möchte? Macht man das wirklich aus einer intrinsischen Motivation? Hat man selber vielleicht mal schlechte Zeiten gehabt, weiß was geholfen hat und möchte das weitergeben? Was ist da wirklich die Motivation, wenn man Menschen helfen möchte? Das sollte man vielleicht noch mal hinterfragen. Und was ist, wenn man mit Menschen arbeitet, aber denen gar nicht helfen kann? Also das sollte man vielleicht auch vorher schon mal reflektieren, wenn das eine der Hauptmotivationen ist, warum man in die Soziale Arbeit möchte.

Braucht es Professionalität, um zu helfen?

Ich glaube erstmal, helfen kann ja jeder. Jeder Mensch kann für einen anderen da sein und für ihn sorgen. Es gibt da so ein spannendes Konzept - Jemand hat einen Kiosk eröffnet mit einer offenen Gesprächsrunde, ohne pädagogischen oder therapeutischen Hintergrund. Er hat dann auch ganz niedrigschwellige Angebote gemacht. Und ich glaube ja, das kann jeder Mensch und das hat dann seine eigene Qualität. Wenn man es aber erlernt und mit theoretischen Inhalten sowie mit viel Reflexion der eigenen Haltung kombiniert, dann hat man vielleicht auch in schwierigen Situationen eher die Möglichkeit, hilfreich zu sein.

Ich glaube, man wird dadurch kompetenter, wenn man Soziale Arbeit studiert. Aber helfen kann jeder, denke ich.

Es ist schön, wenn man Anerkennung bekommt und das ist auch wichtig, aber ich glaube nicht, dass das so gut ist, wenn das der Motivator ist, warum man den Beruf macht. Aber ich glaube, Menschen helfen zu wollen, ist erst mal etwas Positives. Und das sollte man dann auch nicht durch etwaiges „Der Mensch hat ein Helfersyndrom, der hat so einen Knacks, der hilft gerne Leuten“ kleinreden, sondern das ist eigentlich was Schönes, dass man das machen möchte.

Was denkst du, wird in der Sozialen Arbeit noch benötigt?

Ich wünsche mir, dass dort gute Arbeitssituationen etabliert werden, dass Menschen eine angemessene Vergütung bekommen und dass die Systeme einfach gestärkt werden und nicht so ausgelaugt werden, dass sie immer auf Reserve laufen, sondern dass dort auch mal investiert wird und Möglichkeiten geschaffen werden. Und ja, vor allem, dass Menschen auch motiviert sind, dort zu arbeiten und für die Menschen da zu sein, für die Adressaten und Adressatinnen der Sozialarbeit da zu sein


Interview & Porträt: Momen Mostafa

Textbearbeitung: Maria Fridman

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