ver.di: Forschungsstudie belegt: Kirchliches Arbeitsrecht sorgt für Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen bei der Diakonie

16.07.2012 | Sozialmanagement | Nachrichten

Die diakonischen Einrichtungen der evangelischen Kirche nutzen das kirchliche Sonderrecht („Dritter Weg“) „aktiv als Geschäfts- und Wettbewerbsstrategie“, um sich gegenüber sozialwirtschaftlichen Konkurrenten durchzusetzen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsprojekt der Hans-Böckler-Stiftung und bestätigt damit die Kritik der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) am bislang eigenständigen Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen. „Wenn diakonische Einrichtungen wie normale Wirtschaftsunternehmen am Markt agieren, müssen sie sich auch den gleichen Regeln unterwerfen. Dazu gehört auch das Recht der Beschäftigten auf Tarifverträge und das Recht auf Streik, um diese Verträge durchsetzen zu können“, sagte Ellen Paschke, ver.di-Bundesvorstandsmitglied und zuständig für den Bereich Gesundheit, soziale Dienste, Kirchen und Wohlfahrt, am 11.07.2012 in Berlin. In ihrer am 11.07.2012 vorgestellten Studie „Leiharbeit und Ausgliederung in diakonischen Sozialunternehmen“ präsentieren die Autoren Prof. Dr. Heinz-Jürgen Dahme (Fachhochschule Magdeburg), Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt (Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe), Dr. Gertrud Kühnlein und Dr. Anna Stefaniak (Sozialforschungsstelle der TU Dortmund) zahlreiche Belege dafür, dass die Idee der Dienstgemeinschaft mit der Wirklichkeit der diakonischen Arbeitswelt nichts mehr zu tun hat. Exemplarisch wurde dies nachgewiesen anhand der fehlenden flächentariflichen Wirkung diakonischen Arbeitsrechts mit allein 16 verschiedenen Arbeitsrechtlichen Kommissionen bundesweit. Daraus resultieren knapp zwei Dutzend unterschiedliche Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR),die teils deutlich unterhalb des Niveaus des öffentlichen Dienstes liegen. Zudem werden auch 22 Jahre nach Ende der deutschen Teilung im „Tarifbereich Ost“ noch immer schlechtere Arbeits- und Entlohnungsbedingungen fortgeschrieben. Die Ausgliederung von Servicebereichen wie Reinigung und Hauswirtschaft aus diakonischen Einrichtungen ist flächendeckende Praxis geworden, mit dem Ziel die Personalkosten radikal zu reduzieren. Tariflose Zustände oder Tarifflucht in billigere Tarife sind häufig anzutreffen und mit theologisch abgeleiteter Dienstgemeinschaft nicht begründbar. Leiharbeit ist nach den Ergebnissen der Studie auch in diakonischen Einrichtungen „übliche Praxis“, zum Teil um dauerhaft eigenes Personal zu ersetzen. Nach Einführung einer gesetzlichen Lohnuntergrenze für Leiharbeit und von strengeren Regeln gegen „konzerninterne“ Verleihe seien manche diakonische Einrichtungen verstärkt auf schlecht bezahlte Werkverträge ausgewichen. „Wenn die Studie zum Ergebnis kommt: ‚Gelebte Dienstgemeinschaft existiert in der Praxis nicht‘, so können und müssen wir dem vollständig zustimmen“, betonte Paschke. „Die Beispiele und Belege der Studie entsprechen exakt dem, was wir im betrieblichen Alltag in kirchlichen Einrichtungen erleben.“ Erschwerend komme hinzu, dass es betrieblichen Interessenvertretungen an Mitbestimmungsmöglichkeiten fehle und Unternehmens- sowie Konzernmitbestimmung im diakonischen Bereich schlicht nicht vorgesehen seien. „Es ist nicht länger hinnehmbar, dass die Kirchen im Arbeits- und Tarifrecht außerhalb der allgemein geltenden Gesetze agieren und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so zu Beschäftigten zweiter Klasse machen“, unterstrich Paschke.

Quelle: Pressemitteilung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) vom 11.07.2012
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