PEPP: "Indiskutabel für Kinder- und Jugendpsychiatrie"

Fachleute machen Front gegen neues Entgeltsystem

Münster (lwl). Lustiges Kürzel, ernstes Thema: PEPP (Pauschalierendes Entgeltsystem Psychiatrie-Psychosomatik) nennt das Bundesgesundheitsministerium das neue Abrechnungssystem, nach dem schon ab Jahresbeginn 2013 psychiatrische Behandlungen vergütet werden sollen. Doch weil sie vor allem die Versorgung seelisch erkrankter Kinder und Jugendlicher durch eine "kalte Einführung von Kurzfrist-Preisschildern" in Gefahr sehen, finden Dr. Meinolf Noeker, Krankenhausdezernent des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), selbst Kinder- und Jugendpsychiater, und Dr. Falk Burchard, Leiter der Marsberger LWL-Kinder- und Jugendpsychiatrie und Sprecher der westfälischen Fach-Arbeitsgemeinschaft, PEPP gar nicht witzig. Sie wissen sich einig mit dem Aktionsbündnis "Zeit für psychische Gesundheit", in dem die namhaften Verbände deutscher psychiatrischer Klinikleitungen gegen die Berliner Pläne Front machen.

Was haben Sie gegen PEPP?

Noeker: Der geplante Entgeltkatalog will die ersten Tage einer psychiatrischen Behandlung deutlich höher vergüten als die folgenden. Das kann im körpermedizinischen Bereich beim berühmten 'Preisschild‘ für die Blinddarm- oder Knieoperation funktionieren, um durch kürzere Verweildauern Kosten zu senken. In der stationären Psychiatrie, und hier vor allem in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, ist das völlig indiskutabel.

Warum? Kostensenkung ist doch ein gutes Gebot im Gesundheitswesen?

Burchard: Weil insbesondere bei der Behandlung psychisch erkrankter Kinder und Jugendlicher die Zeit ein wesentlicher Heilungsfaktor ist. Es ist vielfach nachgewiesen, dass die Langfristigkeit, die Nachhaltigkeit eines Behandlungserfolges ab einer stationären Therapiedauer von 50 Tagen plus X deutlich steigt, unterhalb dieser Schwelle jedoch merkbar schlechter ist. Zum Vergleich: Psychisch kranke Erwachsene bleiben im Schnitt etwa drei Wochen in der Klinik.

Woran liegt das?

Noeker: Wenn Kinder und Jugendliche vorschnell entlassen werden, sind sie in psychischer, körperlicher und sozialer Hinsicht oft noch nicht wieder so stabilisiert, dass sie den Belastungen des Alltags gewachsen wären. Häufige Rückfälle wären programmiert, es würde die aus längst überwunden geglaubten Zeiten berüchtigte 'Drehtürpsychiatrie‘ wieder Einzug halten, die jungen Patienten kämen nach kurzen Intervallen draußen wieder in die Klinik zurück.

Entscheiden denn nicht die Ärzte allein, wie lange jemand bleibt?

Burchard: Prinzipiell schon, aber wenn ein Abrechnungssystem kurze Behandlungszeiten belohnt und längere bestraft, indem es schließlich auch die Personalausstattung strikt unter das Kostenkalkül stellt, können Ärzte und Therapeuten sich dem nicht entziehen. Mit der Erlössituation steht und fällt letztlich die Existenz eines jeden Krankenhauses. Es könnte sich folglich die Tendenz verstärken, dass leichtere Erkrankungsfälle bevorzugt werden und schwerere außen vor bleiben, damit eine Klinik auf ihre Kosten kommt.

Könnten mehr teilstationäre und ambulante Angebote nicht aus der Klemme helfen?

Noeker: Schon der ohnehin seit langem bedrohliche Bettenmangel im stationären Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie hat gezeigt, dass die tagesklinischen oder ambulanten Ressourcen zum Ausgleich nicht ausreichen. Die Verlagerung junger Patienten in diese Bereiche ist also nicht machbar.

Wie geht es aus Ihrer Sicht weiter?

Burchard: Alle Fachverbände nicht nur aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind sich einig darin, dass das neue PEPP-System handwerklich schlecht gemacht ist, die fachlichen Bedenken ignoriert und dennoch gesundheitspolitisch durchgepeitscht werden soll. Juristische Schritte dagegen werden derzeit geprüft, einschließlich des Gangs nach Karlsruhe.

Hintergrund:

Das stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Behandlungsangebot des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL):
  • LWL-Klinik Dortmund -Elisabeth-Klinik- für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, 35 Betten.
  • LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, 110 Betten.
  • LWL-Klinik Marl-Sinsen, Haardklinik, Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, 129 Betten.
  • LWL-Klinik Marsberg für Kinder- u. Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, 83 Betten.

Der LWL im Überblick

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 13.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 17 Museen und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 106 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.

Quelle: Pressemitteilung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) vom 12.11.2012
www.lwl.org