Kinder brauchen Rituale

Adipositasnetzwerk beleuchtet die Rolle der Tagesstruktur in Familien

Ein Großteil der adipösen Kinder und Jugendlichen nehmen ihr Gewichtsproblem mit ins Erwachsenenalter und entwickeln häufig schwerwiegende Folgeerkrankungen, wie etwa Diabetes oder Herz-Kreislaufschäden. Es ist daher wichtig, krankmachendem Übergewicht frühzeitig vorzubeugen. Der zentrale Ort dafür ist die Familie. Wie kann mit einfachen, aber regelmäßigen Aktivitäten, mit Regeln und Ritualen, der Alltag in Familien so gestaltet werden, dass er ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen ermöglicht? Mit dieser Frage beschäftigte sich ein Fachtreffen, zu dem das  Adipositasnetzwerk Rheinland-Pfalz (ANW) in Kooperation mit der Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz e.V. (LZG) Expertinnen und Experten aus der Ernährungs- und Bewegungswissenschaft eingeladen hatte. Diskutiert wurde, wie sich Bewegung und gesunde Ernährung im Familienalltag praktisch umsetzen lassen. „Ein gut strukturierter Tagesablauf kann helfen, Übergewicht und Diabetes vorzubeugen“, erklärte Jupp Arldt, Vorsitzender des Adipositasnetzwerks und LZG-Geschäftsführer. „Seit den 60er/70er Jahren galten Strukturen und Familienrituale häufig als einengend und als das Gegenteil von Lebensfreude. Diese Auffassung müssen wir überdenken“, forderte er. „Strukturen geben Sicherheit, stärken die Gemeinsamkeit in der Familie und haben vor allem einen Übungsfaktor: Was täglich wiederholt wird, prägt sich besser ein und wirkt nachhaltig. Dies ist vor allem auf dem Gebiet der Ernährung und Bewegung von großer Bedeutung“, so Arldt. Wie tägliches Zähneputzen oder Händewaschen vor dem Essen, so sollte auch Bewegung als Ritual in den Tagesablauf integriert werden. „Kinder brauchen viel Bewegung, am besten zwei, drei Stunden täglich“, betonte Petra Regelin, Vizepräsidentin des Rheinhessischen Turnerbundes. „Kinderturnen im Verein fördert als ‚Kinderstube des Sports‘ motorische Fähigkeiten, stärkt das Selbstvertrauen und macht Lust auf Sport, ohne dass Leistung im Fokus steht. Gemeinsam einen neuen Sport zu erlernen, wie zum Beispiel Inlineskaten, kann Kinder und Eltern gleichermaßen in Schwung bringen“, sagte Regelin, die auch den ANW-Vorstand angehört. Immer mehr Vereine bieten Familien an, zeitgleich ihren sportlichen Vorlieben nachzugehen. So können beispielsweise die Kinder Fußball spielen, während die Mutter joggt. Aber auch in den ganz normalen Alltag muss Bewegung Einzug halten. Ob zum Kindergarten, zur Oma oder in die Eisdiele – einfache Wegstrecken lassen sich mit Fahrrad, Roller oder zu Fuß bewegungsaktiv angehen – jeder Schritt zählt! Und besonders freuen sich die Kleinen über ein bewegungsfreundliches Kinderzimmer, etwa mit Rutsche, Bettenleiter oder Trampolin. Von ausreichend Bewegung profitieren Kinder auch kognitiv: Sie können sich in der Schule deutlich besser konzentrieren. Bewegung im Alltag zu verankern ist anfangs nicht leicht, doch sobald es zum Ritual wird, geht es automatisch und gehört ganz selbstverständlich zu jedem Tag. Nach einer aktuellen Studie der Plattform Ernährung und Bewegung sind Väter bei Sport und Spiel übrigens wichtiger als Mütter, da sie weniger Angst haben und den Bewegungsdrang der Kinder unterstützen statt ihn zu bremsen. „Väter nehmen diese Rolle aber leider zu wenig wahr“, bedauerte Regelin. „Bei der Speiseplangestaltung ist es sinnvoll, Kinder altersgemäß mit einzubeziehen, aber die Verantwortung dafür liegt immer noch bei den Erziehungsberechtigten“, betonte Susanne Umbach von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Sogar das beliebte Trio Pizza, Pasta, Pommes könne hin und wieder auf den Tisch kommen, wenn es mit Salat aufgewertet oder in einer fettärmeren Variante, zum Beispiel als Backofen-Frites, angeboten werde. Dennoch wird sicherlich nicht immer das aufgetischt, was Kindern schmeckt. Hier gilt es, gemeinsam Regeln aufzustellen, damit alle das Essen in entspannter Atmosphäre genießen und die Mahlzeit zum Austausch und Plaudern zu nutzen können. Wie wichtig gemeinsame Familienmahlzeiten sind, zeige eine Analyse mehrerer Studien in den USA, so Susanne Umbach. Kinder, die regelmäßig am Familientisch essen, neigen demnach weniger zu Übergewicht und Ess-Störungen. Wenn es die Zeit erlaubt, sollten Eltern ihre Sprösslinge mit zum Einkaufen nehmen, das stärkt ihre Selbständigkeit und Konsumkompetenz. „Die speziell für Kinder bunt gestalteten Lebensmittel gehören zu den besonders beliebten Leckereien. Untersuchungen der Verbraucherzentrale zeigen aber, dass sie meist sehr fett- und zuckerhaltig und mit Vitaminen und Mineralien aufgepeppt sind“, warnte die Ernährungsexpertin. Spannend ist es für Kinder, auf einem bunten Wochenmarkt frische Zutaten einzukaufen, die anschließend gemeinsam zubereitet werden. Kinder lernen so bestens die Ursprünge von Mahlzeiten kennen. Außerdem lassen sie sich zu einem gesunden Essverhalten besser motivieren, wenn sie in der Küche mit hantieren dürfen. „In der Kommunikation mit Kindern würde ich das Wort ‚gesund‘ streichen“, empfahl Antonia Wiedekind vom Qualitätszirkel Ernährung RLP e.V. Das Argument „das ist gesund“ werde häufig mit mehr oder weniger Druck dazu verwendet, Kinder zu bewegen, Lebensmittel zu essen, die sie nicht mögen. Damit präge sich „gesund“ als Gegensatz zu Genuss oder gutem Geschmack ein. Stattdessen sei es wichtiger, die Wahrnehmung von eigenen Bedürfnissen, etwa Hungergefühlen, zu stärken. Kinder lernen vor allem durch Nachahmung, daher ist es für Eltern wichtig, selbst ein gutes Vorbild zu sein. Für gesundes Essen spielt auch der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. In Ruhe essen und gemeinsame Mahlzeiten am Familientisch tragen dazu bei, dem Tag eine gute Struktur zu verleihen. Gemeinsam Brot backen, einen Obstsalat zubereiten, ein Kresse- oder Kräuterbeet anlegen oder für den Spaziergang den Hund der Nachbarin ausleihen – dies alles sind weitere Ideen, um den Familienalltag gesundheitsfördernd zu gestalten.

Quelle: Pressemitteilung der Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz e.V. (LZG) vom 19.12.2012