Mitarbeiter in einer Werkstatt für behinderte Menschen - Foto: Christoph Buckstegen

Von jedem Euro, den die Gesellschaft in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfMB) investiert, erhält sie 49 Cent direkt wieder zurück

Werkstätten für Menschen mit Behinderung zeigen ihre Wirkung - 1. SROI-Studie: Werkstätten für Menschen mit Behinderung am Niederrhein erwirtschaften Rendite für die Region

Ein Grundsatz gilt fast überall: Wer etwas bezahlt, möchte auch wissen, welche Leistung er dafür erhält. Soziale Dienstleistungen, wie zum Beispiel Angebote für Kinder und Jugendliche oder die Bereitstellung von speziell auf die Situation von Menschen mit Behinderung zugeschnitten Arbeitsplätzen in einer Werkstatt für behinderte Menschen, geschehen naturgemäß in einem Dreiecksverhältnis: Derjenige, der für eine Leistung bezahlt, ist in der Regel nicht der, dem die Leistung direkt zu Gute kommt. Die öffentliche Hand als Zahler muss ihre Entscheidungen also gegenüber politischen Gremien und dem Bürger legitimieren, ohne aus eigener Erfahrung die Gegenleistung beurteilen zu können. In Zeiten überschuldeter Haushalte wird daher ver­mehrt die Frage gestellt: Was geschieht da eigentlich in den sozialen Ein­richtungen? Sind die Sozialausgaben angemessen eingesetzt? Was wird aus den öffentlichen Mitteln?

Acht WfMB als Auftraggeber wollten es wissen: ihr SROI 2010

Acht Werkstätten für Menschen mit Behinderung am Niederrhein und in Aachen haben in einer Studie berechnen lassen, welche gesellschaftliche und regionalökonomische Wirkung ihr Angebot entfaltet. Mit anderen Worten: Sie haben ihren Social Return on Investment (SROI) für das Jahr 2010 bestimmen lassen. Dies geschah in Zusammenarbeit mit der Katho­lischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und dem auf soziale Organisationen spezialisierten Beratungsunternehmen xit forschen. planen. beraten aus Nürnberg. Die Ergebnisse stellten die Werkstätten mit Prof. Dr. Halfar und Dr. Britta Wagner diese Woche den Kostenträgern und der Öffentlichkeit vor.

Nicht jeder Euro ist verbraucht

Hier zeigte sich, dass nicht nur die Beschäftigen etwas von den Werkstätten erhalten, nämlich einen auf sie zugeschnittenen Arbeitsplatz, Lohn für ihre Arbeit, ein soziales Umfeld und fördernde Betreuung. Darüber hinaus ent­stehen gesellschaftliche Wirkungen, die sich finanziell niederschlagen und in der Berechnung des Social Return on Investment beziffert wurden. Zum einen fließt ein beträchtlicher Anteil der Ausgaben auch wieder in die öffentlichen Haushalte zurück. Zum anderen sind die Werkstätten ein nicht unbedeutender Wirtschaftsfaktor für die Region. Und schließlich ist in den Blick zu nehmen, welche Kosten für die Gesellschaft entstehen würden, wenn es diese Form der Beschäftigung für die fast 10.000 behinderten Beschäftigten in der untersuchten Region nicht gäbe. Beteiligte Werkstätten: GWN-Neuss, WFB Hemmerden, HPZ Krefeld-Kreis Viersen, Werkstätten Kreis Mettmann, Haus Freudenberg, Stiftung Hephata, Lebenshilfe Heinsberg und Lebenshilfe Aachen Die Projektpartner: Prof. Dr. Bernd Halfar (Katholische Universität Eichstätt Ingolstadt), Dr. Britta Wagner (xit GmbH forschen. planen. beraten)

Rückfluss in die öffentlichen Hände statt nur Investitionen

Von jedem Euro, den die öffentlichen Kassen an die Werkstätten in Form von Maßnahmefinanzierungen, Kostenerstattungen oder sonstigen Zuschüssen be­zahlen, fließen 49 Cent als Steuern und Sozialversicherungsbeiträge an die Gesell­schaft direkt zurück. Von den 203 Millionen Euro, die die acht Werkstätten in der Summe erhalten, gehen also 99 Millionen wieder an die öffentliche Hand. Auch die behinderten Beschäftigen erhalten Leistungen aus den Sozial­kassen: Arbeitsförderungsgeld, Ausbildungsgeld, Erstattung von Sozial­versicherungsbeiträgen und Fahrt-kostenerstattung summieren sich hier auf 47 Millionen Euro. Dadurch, dass sie in der Werkstatt einer sozial­ver­sicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen und einen Lohn erhal­ten, können sie 73 % dieser erhaltenen Transferleistungen, also 34 Millionen Euro, wieder an die öffentlichen Kassen zurückgeben. Denn von ihrem Lohn bezahlen die Beschäftigten nicht nur Steuern und Sozialversicherungs­beiträge, sie erstatten auch einen Teil der Grundsicherung und der Kosten für ihre Unterbringung in einem Wohnheim zurück. Es ist also bei weitem nicht so, dass von den Sozialausgaben jeder Euro ver­braucht wäre; nur landen die Einnahmen nicht immer in dem Haushalt, der die Ausgaben zu verbuchen hat. Die größten Nutznießer dieses Systems sind die Sozialversicherungen.

Die Werkstätten sorgen für 5.000 reguläre Arbeitsplätze in der Region

Die an der Studie beteiligten Werkstätten haben gemeinsam mit knapp 10.000 behinderten Beschäftigten eine unübersehbare Bedeutung für die öffentlichen Haushalte und die regionale Wirtschaft in den Landkreisen Kleve, Viersen, Heinsberg, Mettmann, Rhein-Kreis Neuss, den Städten Krefeld, Mönchengladbach und im Städtekreis Aachen. Denn die Einrichtungen selbst beschäftigen noch einmal 2.062 Mitarbeiter für pädagogische und fachliche Betreuung und Verwaltung. Die Werkstätten kauften 2010 Waren und Dienstleistungen in der Region im Wert von 36,5 Millionen Euro im Jahr ein. Da die Beschäftigten einen Teil ihrer Löhne wiederum in der Region ausge­ben und die gesamte Nachfrage an anderer Stelle Arbeitsplätze sichert, kann man unter Berücksichtigung dieses volkswirtschaftlich üblichen Multi­plikatoreffekts sagen: An den Werkstätten hängen insgesamt knapp 5.000 reguläre Arbeitsplätze in der Region und sie sorgen für eine regionale Nachfrage von insgesamt rund 87 Millionen Euro. Dies alles verschaffte den kommunalen Haushalten im Jahr 2010 Einnahmen bzw. Einsparungen in Höhe von 14,8 Millionen Euro.

Was kosten die Alternativen?

Ein Werkstattplatz kostet, so das Ergebnis der Studie, die öffentlichen Kassen nach Abzug der Rückflüsse im Schnitt pro Jahr und Person 10.700 Euro. Was wäre, wenn es die acht untersuchten Werkstätten in der Form nicht gäbe? Betrachten wir zunächst die Alternativen, die in der Regel weniger gesell­schaftliche Inklusion für den behinderten Menschen bedeuten: Würde der behinderte Mensch statt in der Werkstatt zu arbeiten, zu Hause von seinen Eltern betreut oder in seiner Wohngruppe bleiben, entstünden der Gesell­schaft fast die gleichen Kosten pro Monat, obwohl hier keine professionelle Betreuung und Förderung gewährleistet wäre. Denn es bleiben Kosten für die Pflege; und zusätzlich kann bei einigen mindestens ein Elternteil nicht Vollzeit arbeiten, also keine Steuern und Sozial-versicherungsbeiträge erwirtschaften. Ein Platz in einer tagesstrukturierenden Maßnahme, wie es sie in anderen Bundesländern gibt, wäre mit etwa 9.300 Euro daher für die Gesellschaft günstiger, da die Betreuung am Tag in einer Einrichtung geschieht und sowohl die Eltern als auch Betreuungspersonal Gehälter beziehen können. Aber auch hier fehlen die anregende Umgebung einer Arbeitsstätte und der Stolz auf die eigene geleistete Arbeit als Teil der Lebensqualität. Deutlich teurer für die öffentlichen Kassen wäre es, wenn alle knapp 10.000 behinderten Beschäftigten der acht Werkstätten in Integrationsfirmen be­schäftigen würden. Mit 16.000 Euro pro Jahr müsste die Gesellschaft einen solchen Arbeitsplatz bezuschussen, der für manche allerdings mit einem Mehr an Inklusion verbunden wäre. Hier bleibt freilich unberücksichtigt, ob so viele einzelne Integrationsfirmen auf dem Markt überhaupt dauerhaft bestehen könnten. Würden nur die leistungsstärksten behinderten Be­schäftigten von der Werkstatt in eine Integrationsfirma wechseln, würden die Kosten im Schnitt für alle auf 9.800 Euro sinken. Ein Teil der Beschäftig­ten würde also in die dem 1. Arbeitsmarkt oft nähere Integrationsfirma wechseln. Gleichzeitig könnte man in der Werkstatt das teilweise sehr hohe und arbeitsmarktnahe Aufgabenniveau allerdings nicht mehr halten. Der größte Teil der Beschäftigten müsste dadurch  auf Inklusionschancen verzichten.

Quelle: Pressemitteilung der AWN- Arbeitsgemeinschaft der Werkstätten am Niederrhein vom 30.11.2011