Spannungsfeld "Reha nach der Akut-Psychiatrie"

19.10.2011 | Gesundheitswesen | Nachrichten

Fachlich anerkannt, geringere Kosten für das Gesundheits- und Sozialwesen, aber noch lange keine Selbstverständlichkeit?

Hamburg - Neue Impulse gehen von der Jahrestagung für "Reha nach der Psychiatrie" aus - die Therapie-Programme überzeugen immer mehr KlientInnen und bereiten den Weg zurück in Beruf und Leben. Krankenkassen in Deutschland beobachten auch 2011 drastische Anstiege von beruflichen Fehltagen aufgrund psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und anderen seelischen Leiden. Auch die Daten der Deutschen Rentenversicherung weisen weiter auf die Zunahme psychischer Erkrankungen bei Frühberentungen hin. Sogar Unions-Abgeordnete im Bundestag forderten im Juli 2011: "Mehr Geld für Reha!" Eine seelische Erkrankung muss nicht zwangsläufig das Ende der Karriere bedeuten. So wie nach einem Bandscheibenvorfall die Behandlung in einer Reha-Klinik dem Patienten den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben bahnt, so kann auch nach einer schweren psychischen Krise die Rückkehr in die Berufswelt mit Hilfe eines Reha-Programms gelingen. Das ist der Leitgedanke, an dem sich inzwischen bundesweit über 50 kleine, überschaubare und unabhängige Rehabilitationseinrichtungen für psychisch kranke Menschen (RPKs) mit jeweils ca. 40 Plätzen orientieren und dabei in ihrer Arbeit medizinische und berufliche Rehabilitation verknüpfen. Zentral ist das regelmäßige Arbeitstraining mit schrittweise anspruchsvolleren Praktika. Auch Musik- und Kunsttherapie, Programme zur Alltags- und Stressbewältigung, Bewerbungstraining oder die Stärkung sozialer Kompetenzen sowie Angehörigenarbeit gehören zum komplexen RPK-Repertoire. Dem Klient mit seinem auf ihn abgestimmten persönlichen Therapieplan steht eine feste Bezugsperson zur Seite. Möglich sind ein stationäres oder auch ambulantes Setting, nahe dem eigenen Wohnort. Der Fokus auf Psychotherapie zur Vermeidung starker Medikamentierung ist ein wichtiger Ansatz, ebenso die Selbsthilfe-Arbeit, wie sich klar auch auf der Jahrestagung im Vortrag "Erst out, dann in mit EX-IN" zeigte: Immer mehr Menschen, die die Reha hinter sich haben, werden dabei zu Lotsen für neue KlientInnen. Die Maßnahmen dauern ein bis zwei Jahre und scheinen mit rund € 120 pro Tag zunächst ein hoher Kostenfaktor für die Träger der Kosten. Das
sind alle gesetzlichen und privaten Krankenkassen, die Rentenversicherer sowie die Bundesagentur für Arbeit, die gemeinsam dafür aufkommen. Doch nach den bisherigen Erfahrungen [1] ist die intensive Nachsorge langfristig für die betroffenen Menschen und die Sozialkassen ein Gewinn. Die Rückfallquote sinkt, so dass erneute Akutbehandlungen in psychiatrischen Kliniken mit Kosten von ca. € 400 pro Tag vermieden werden können. Die meisten Klienten finden durch die Reha einen Platz im Erwerbsleben und müssen nicht frühberentet werden.  Die Kosten für Erkrankungen und Frühberentungen aufgrund psychischer Störungen schätzen Krankenkassen auf mindestens 6,3 Milliarden Euro jährlich [2]. Die Kosten der RPK-Einrichtungen deutschlandweit belaufen sich grob gerechnet aktuell auf 100 Millionen Euro pro Jahr. Bei langjährigen RPK-Erfolgsquoten von deutlich über 50% liegen hier gewaltige Einsparpotentiale für unser Gesundheits- und Sozialwesen. “RPKs, also frühzeitige sogenannte Komplexmaßnahmen helfen sehr. Sie kommen für die Hälfte aller aus der Akut-Klinik entlassenen PatientInnen in Frage. Besonders junge Menschen profitieren“, so Michael Bräuning-Edelmann, 1. Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation psychisch kranker Menschen e.V. (BAG RPK). Der Reha-Experte leitet die RPK Landsberg und weitere Reha-Angebote des Anbieters Herzogsägmühle in Peiting in Oberbayern. "Leider sind wir von einer flächendeckenden Versorgung meilenweit entfernt, in Bayern z.B. herrscht großer Notstand. Wir hoffen, dass den zögerlichen Krankenkassen, regionalen Arbeitsagenturen und Rentenversicherern nun der neue Impuls der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation (BAR Frankfurt) hilft, in der sie alle Mitglied sind. Sie hat die sogenannte Empfehlungsvereinbarung neu herausgegeben, rechtzeitig zum 25-jährigen Bestehen unserer RPK-Bewegung, die es seit 1986 gibt. Dieses "Herzstück" gibt uns die notwendige Sicherheit durch eine geregelte Finanzierung - zumindest auf dem Papier." Die neue Fassung beschleunigt Entscheidungen der Träger der Kosten und lichtet hoffentlich das "Dickicht", das seit Jahren bei der Beantragung bei den verschiedenen zur Kooperation verpflichteten Bürokratien entsteht und zu "Reibungsverlusten" und Wartezeiten führt, die sehr schmerzhaft auf Kosten der Familien und der Betroffenen gehen. Weitere Infos zur BAG RPK finden Sie auf der Website www.bag-rpk.de

[1] Zweijährliche Basiserhebungen der BAG RPK (2009), siehe www.bag-rpk.de

[2] Zahl des BKK Bundesverbands aus dem Themendossier „Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen und Frühberentung in Deutschland“, Juli 2008


Quelle: Pressemitteilung der BAG RPK von Ende September 2011