Infrastrukturwandel im Wohlfahrtsstaat: Formen, Prozesse, Konsequenzen

Call for papers für die Jahrestagung der Sektion Sozialpolitik der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, 6.-7. Oktober 2011, Universität Kassel

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit sozialpolitischen Zuständen und Tendenzen spielt die „Hardware“ entwickelter Wohlfahrtsstaaten noch immer eine stiefmütterliche Rolle: Im vorherrschenden Verständnis von Sozialpolitik bzw. Wohlfahrtsstaatlichkeit erscheinen Gremien, Ausschüsse, Behörden, Träger, Organisationen, Professionen und auch die im bzw. vom Wohlfahrtsstaat engagierten Berufsgruppen vielfach als schlichte Ausführungs-organe der gesetzlich-institutionellen „Software“ des Wohlfahrtsstaats – und deshalb eigentlich keines besonderen Aufhebens wert. Bestenfalls werden sie als Mitspieler im Konzert der sozialpolitischen Willensbildung begriffen, die diese Software mit ihren eigenen Interessen und Idiosynkrasien „infizieren“. Zwar gibt es Ausnahmen, etwa die Studien zum (Post-)Korporatismus im Gesundheits- und Sozialwesen oder zur Entwicklung der Wohlfahrtsverbände. Mit dem lange Zeit vorherrschenden Fokus auf Transfersysteme sowie gesetzliche Programmierungen hat die Sozialpolitikforschung jedoch das praktische Innenleben des Wohlfahrtsstaats nur selten in den Fokus der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt. Spätestens seit den massiven Umbauten, die mit (im weitesten Sinne) sozialpolitischen Aufgaben befasste Instanzen und Organisationen – im weltweiten Sog des „New Public Management“ – seit den 1980er Jahren durchlaufen haben, ist aber klar, dass man den zeitgenössischen Wohlfahrtsstaat und seine Funktionsweise nicht verstehen kann, ohne seine „HandwerkerInnen“ zu einem eigenen Forschungsgegenstand zu machen. Denn wenn eine behörden-förmige Bundesanstalt zur kundenorientierten Bundesagentur, wenn Krankenkassen zu Versi-cherungsunternehmen oder Wohlfahrtsverbände zu Sozialkonzernen mutieren, kann dies im Hinblick auf die Operationen des Wohlfahrtsstaats kaum folgenlos bleiben. Das, was v.a. in der auf Raumplanung oder auf soziale Dienste bezogenen Fachdiskussion, gelegentlich aber auch in der wohlfahrtsstaatstheoretischen Literatur als Infrastruktur sozialer Daseinsvorsorge bezeichnet wird, rückt v.a. dann ins Zentrum der Sozialpolitikanalyse, wenn es um den Eigensinn einschlägiger Akteure und Organisationen, die selbstläufige Dynamik von Normimplementationen oder Prozesse der Mehrebenen-Steuerung im Wohlfahrtsstaat geht. Diesbezüglich kursieren auch unterschiedliche Metadiagnosen, die sich zwischen der Beobachtung einer sukzessiven (Quasi-)Privatisierung sozialer Daseinsvorsorge und der Behauptung einer (latent bleibenden) „neosozialen“ Totalkontrolle nur scheinbar pluralistisch organisierter „Wohlfahrtsproduktionsprozesse“ bewegen. Die Tagung soll Diagnosen dieser Art einer kritischen Prüfung unterziehen, aber zugleich auch die (je spezifischen) Formen, Prozesse und Konsequenzen des Infrastrukturwandels in den verschiedenen Sektoren zeitgenössischer Wohlfahrtsstaaten unter die Lupe nehmen. Dies schließt Beiträge zu in diesen Sektoren bis vor kurzem noch randständigen Akteuren (etwa Verbraucherzentralen; Patientenvertretungen; privat-gewerbliche Unternehmen) ebenso mit ein wie die Analyse der vonseiten der deutschen Sozialpolitikforschung oft vernachlässigten klassischen Infrastruktursektoren (z.B. die soziale Wohnungswirtschaft). Von Interesse sind überdies neue Infrastrukturpolitiken (etwa „Soziale Stadt“) wie auch Entwicklungen in klassischen Berufsfeldern des Wohlfahrtsstaats (Soziale Arbeit, Pflege, Gesundheitswesen etc.). Quer dazu geht es um Trägerstrukturen und ihren Wandel, ferner um die Variationen und Folgen dessen, was gemeinhin als „Verwaltungsmodernisierung“ bezeichnet wird, und – nicht zuletzt – um wohlfahrtsstaatstheoretische Zugänge, die den Begriff der Infrastruktur paradig-matisch ausbuchstabieren. Am Beginn der Konferenz steht ein historisch angelegter Vortrag von Christoph Sachße. Danach folgt ein erster Block mit Beiträgen, welche aus den eingegangenen Vortragsangeboten ausgewählt worden sind. Den Abschluss des ersten Tages bilden internationale Vergleiche zu Infrastrukturentwicklungen und ihren Folgen in ausgewählten westlichen Wohlfahrtsstaaten. Referenten sind Paola Mattei vom „European Studies Centre“ am St Antony's College in Oxford sowie Rik van Berkel von der „Utrecht School of Governance“. Der zweite Veranstaltungstag startet mit weiteren aus den Vortragsangeboten ausgewählten Beiträgen. Im letzten Block gibt es eine Podiumsdiskussion unter Beteiligung regionaler PraktikerInnen. Es werden Vorschläge zu Beiträgen erbeten, die einen oder mehrere der genannten Aspekte aufgreifen. Die Argumentationslinie sowie ihre Daten- bzw. Theoriegrundlage sollten in einem Outline mit max. 1000 Wörtern umrissen und bis zum 30.4.2011 an die unten genannten Vorstandsmitglieder gesendet werden. Veranstalter und Sektion können allen ReferentInnen die Kosten für die An- und Abreise (Bahnfahrt 2. Klasse) sowie für eine Hotelübernachtung erstatten. Zudem besteht die Möglichkeit, Qualifizierungs- und Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit dem Tagungsthema auf Postern bzw. in ausgelegten Papieren vorzustellen (diese werden im tagesaktuellen Veranstaltungsprogramm aufgelistet). Die Beiträge zur Tagung sollen veröffentlicht werden: einerseits wird eine Online-Tagungsdokumentation (im Rahmen des KOBRA-Systems der Universität Kassel) erstellt; andererseits wird angestrebt, einen Teil der vorgelegten Papiere (ggf. nach Vorauswahl- und Reviewverfahren) in einer Sondernummer einer einschlägigen Fachzeitschrift zu publizieren. Vortragsvorschläge bitte senden an:
Ingo Bode, Universität Kassel, Institut für Sozialwesen, ibode@uni-kassel.de
Sigrid Leitner, Fachhochschule Köln, Institut für angewandtes Management und Organisation in der sozialen Arbeit, sigrid.leitner@fh-koeln.de
Stichtag für den Call for Papers ist der 30.04.2011. Vorläufige Planung 6.10.2011 Start 13.00h, Begrüßung und Hinführung zum Tagungsthema 13.30-14.30h Infrastrukturwandel historisch:
Christoph Sachße, Brüssel 15-16.30h Infrastrukturelle Entwicklungen in wohlfahrtsstaatlich regulierten Sektoren I 17-19h Infrastrukturwandel international:
Rik van Berkel, School of Governance, Universität Utrecht
Paola Mattei, European Studies Centre, St Antony's College, Oxford Gemeinsames Abendessen 7.10.2011 9-10.30h Infrastrukturelle Entwicklungen in wohlfahrtsstaatlich regulierten Sektoren II 11-13h Podiumsdiskussion: Theorie und Praxis des Infrastrukturwandels
(regionale Vertreter von Berufsverbänden, Organisationen, Zentralen etc.) Imbiss und Ausklang

Quelle: http://www.soziologie.de/fileadmin/user_upload/Sektion_Sozialpolitik/CFP_JT_2011.pdf