Hartz-IV-Kompromiss stößt bei den Sozialverbänden auf Kritik

Nach zähen und immer wieder unterbrochenen Verhandlungen hat sich der Vermittlungsausschuss am vergangen Mittwoch, 23.02.2011, auf einen Kompromiss in Sachen Hartz IV geeinigt. Dieser sieht vor, dass die Regelsätze der Grundsicherung für die betroffenen rund 4,7 Millionen Leistungsempfänger in zwei Stufen erhöht werden:
  • Rückwirkend ab 1. Januar 2011 wird der Regelsatz um fünf Euro auf 364 Euro monatlich erhöht.
  • Ab 1. Januar 2012 kommen als einmaliger Inflationsausgleich weitere drei Euro hinzu. Dann steigt der Regelsatz auf 367 Euro. Zusätzlich steht zum 1. Januar 2012 die reguläre jährliche Anpassung an. Diese orientiert sich an der Lohn- und Preisentwicklung von Juli 2010 bis Juni 2011 im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum des Vorjahres.
     
  • Die Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeit und Übungsleiter bis 175 Euro monatlich werden auf den Regelsatz nicht angerechnet.
Die neuen Regelsätze werden vorausichtlich ab 1. April 2011 zusammen mit der Nachzahlung seit 1. Januar 2011 von der Bundesagentur für Arbeit ausgezahlt. Vorausgesetzt, Bundesrat und Bundestag bestätigen die nun empfohlenen Gesetzesänderungen. Des weiteren hat man sich im Vermittlungsausschuss auf die Aufstockung des Bildungspaketes verständigt.  U.a. sollen zusätzliche Gelder für Schulsozialarbeiter bereit gestellt werden und auch Kinder von Geringverdienern bei den Maßnahmen berücksichtigt werden. Die Kommunen, als Träger des Bildungspaketes, sollen in den ersten 3 Jahren vom Bund finanziell unterstützt werden. Insgesamt kommen mit der Hartz-IV-Reform auf den Bund Kosten in Höhe von rund 1,6 Mrd. Euro pro Jahr zu. Weitere Themen im Vermittlungsausschuss waren die Grundsicherung für Rentner und Erwerbsgeminderte sowie Regelungen zum Mindestlohn. Scharfe Kritik übte der Paritätische Wohlfahrtsverband an dem Hartz IV-Kompromiss. Die Regelsätze seien weder bedarfsgerecht noch verfassungskonform. Der Verband fordert die SPD auf, das Vermittlungsergebnis nach Zustimmung des Bundesrates durch eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. "Das Geschacher der letzten Wochen und Tage um drei Euro mehr oder weniger ist die erbärmlichste Farce, die die deutsche Sozialpolitik je erlebt hat", kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen. Die Fortschritte bei dem Bildungspaket könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Politik die rund 4,7 Millionen erwachsenen Hartz IV-Bezieher komplett im Regen stehen lasse. „Das Ergebnis ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und ein Affront gegenüber dem Bundesverfassungsgericht“, so Schneider. „Die SPD hat über Wochen zu Recht behauptet, was die Bundesregierung vorgelegt habe, entspräche nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Wenn sie das ernst gemeint hat, muss sie konsequenterweise das Bundesverfassungsgericht anrufen“, so Schneider. Der AWO-Bundesverband sieht in dem vorgelegten Kompromiss "allenfalls eine Minimallösung".
"Die vielen Menschen, die in das Verfassungsgerichtsurteil zur Neubestimmung der Hartz IV-Regelsätze große Hoffnungen gesetzt haben, werden zu Recht enttäuscht sein", so der AWO Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler. "Was nach über einem Jahr endlich an Regelsatzerhöhung auf dem Tisch liegt, ist aus unserer Sicht nicht an den realen Bedarfen orientiert, wie es das Bundesverfassungsgericht gefordert hat, sondern ein mit fragwürdigen Methoden klein gerechneter und letztlich politisch gesetzter Betrag", betont Stadler. Der Kompromiss komme der zentralen Forderung aus Karlsruhe nach einer transparenten und nachvollziehbaren Neuberechnung der Regelsätze nicht nach. Es sei jedoch zu begrüßen, wenn "das verhandelte Bildungs- und Teilhabepaket nun mehr Kindern zur Verfügung gestellt wird als ursprünglich geplant", so Stadler. Die Finanzierung von zusätzlichen Schulsozialarbeiterstellen und die Ausweitung des Mindestlohnes sei zudem ein Fortschritt. Klar müsse aber auch sein, "dass die Finanzierung der neuen Schulsozialarbeiterstellen nicht von vornherein auf drei Jahre begrenzt werden", fordert der AWO Bundesvorsitzende. Ebenso dürfe die vorgesehene finanzielle Entlastung der Kommunen auf Dauer nicht zu einer Unterfinanzierung der Bundesagentur für Arbeit führen. Dies hätte negative Auswirkungen auf die Eingliederung von arbeitslosen Menschen in den Arbeitsmarkt. Auch von Seiten der Diakonie wurde Kritik laut. Der neue Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier kritisierte u.a. , dass die Förderung von Langzeitarbeitslosen immer noch ein Stiefkind der Sozialpolitik ist.
Es sei nur schwer verständlich, warum die Förderung von Langzeitarbeitslosen in Deutschland immer wieder von der Kassenlage abhinge und von Unterstellungen und Missbrauchsvermutungen begleitet werde. „Mehrere hunderttausend Menschen sind seit der Einführung von Hartz IV ohne Aussicht auf einen regulären Arbeitsplatz. Kein Mensch will in Hartz IV bleiben, jeder Erwerbssuchende will arbeiten. Deshalb brauchen wir den Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigung, die den Menschen  existenzsichernde und sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse bietet“, betont Stockmeier. Trotz wochenlangem Ringen um die SGB II-Reform haben die Vertreter von Bund und Ländern nach Ansicht des Deutschen Caritasverbandes beim Erwachsenenregelsatz keine substantielle Verbesserung erreicht.
Die geplante Erhöhung um fünf und dann noch mal um drei Euro sei willkürlich und intransparent. Sie sind das Ergebnis eines parteipolitischen Kalküls. An den entscheidenden Stellschrauben der Regelsatzberechnung ist nichts korrigiert worden. "Ausgaben von verdeckt Armen fließen immer noch in die Berechnungen mit ein. Dies führt im Ergebnis dazu, dass der Regelsatz zu niedrig ausfällt", kritisiert Caritas-Präsident Peter Neher. Positiv ist aus Sicht des Deutschen Caritasverbandes, dass der Bund den Ausbau der Schulsozialarbeit fördern möchte. Jetzt sind Kommunen und Länder aufgefordert, mit dieser Anschubfinanzierung Strukturen aufzubauen, die eine verlässliche Förderung von benachteiligten Kindern und Jugendlichen garantieren. "Schulsozialarbeit muss dauerhaft gesichert werden", so Neher. Aus Sicht der Caritas ist auch die schrittweise Entlastung der Kommunen im Bereich der Grundsicherung im Alter durch den Bund sachgerecht. Das wachsende Risiko der Altersarmut werden die Kommunen künftig nicht allein schultern können. Die Finanzierung seitens des Bundes darf allerdings nicht zu Lasten der Hilfen für langzeitarbeitslose Menschen gehen.

Quelle: Pressemitteilung der Bundesregierung vom 23.02.2011
http://www.bundesregierung.de
Pressemitteilung des Deutschen Bundestages vom 24.02.2011
http://www.bundestag.de
Pressemeldung vom 21.02.2011, Gwendolyn Stilling, Referentin für Presse- und Gremienarbeit, Der Paritätische Gesamtverband
http://www.der-paritaetische.de
Pressemeldung des AWO Bundesverbandes e.V. vom 21.02.2011
http://www.awo.org
Pressemitteilung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V. vom 24.02.2011
http://www.diakonie.de
Pressemitteilung des Deutschen Caritasverbandes e.V. vom 21.02.2011
http://www.caritas.de