Ergebnisse des DJI-Forschungsprojekts „Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Institutionen“

Schulen, Internate und Heime sind mit Verdachtsfällen konfrontiert. Lehr- und Fachkräfte benötigen mehr Kompetenzen im Umgang mit sexuellem Missbrauch. Präventionsmaßnahmen nicht ausreichend vorhanden.

Auf dem gleichnamigen Fachkongress des Deutschen Jugendinstituts wurden am 13.07.2011 in Berlin detaillierte Ergebnisse des einjährigen DJI-Forschungsprojekts „Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Institutionen“ präsentiert und mit Fachleuten diskutiert. Erstmals wurde in dem Projekt deutschlandweit erfasst, wie häufig sich Schulen, Internate und Heime mit Verdachtsfällen auf sexuellen Missbrauch konfrontiert sehen und welche Maßnahmen der Prävention sie ergreifen. Das Projekt wurde von der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Dr. Christine Bergmann, beauftragt und gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Es ist Teil der Aufarbeitung der Unabhängigen Beauftragten, deren Ergebnisse in die Empfehlungen des Abschlussberichts der Unabhängigen Beauftragten eingeflossen sind, der im Mai der Öffentlichkeit vorgestellt und im Juni am Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ diskutiert wurde. „Es freut mich sehr, dass der Fachkongress auf eine so große Resonanz stößt“, betonte Dr. Christine Bergmann im anschließenden Pressegespräch, „die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von Qualitätsentwicklung und Fortbildung in Institutionen und machen deutlich, dass der Schutz der Kinder und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch integraler Bestandteil des Auftrags von Schulen, Internaten und Heimen werden muss.“ Die Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Cornelia Quennet-Thielen, wies darauf hin, dass „Forschung auf diese Weise einen wichtigen Beitrag für die Etablierung einer Kultur des Hinsehens leistet.“
Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden drei Module realisiert:
a) Standardisierte bundesweite Befragung von Fach- und Leitungskräften in Schulen (bis auf Bayern), Internaten und Heimen
b) Literaturexpertisen zum internationalen und nationalen Forschungsstand zu sexueller Gewalt gegen Kinder
c) Fokusgruppenbefragung und Interviews mit Expertinnen und Experten
Schulen, Internate und Heime sind häufig mit Verdachtsfällen auf sexuelle Gewalt bzw. unterschiedlichen Formen von Übergriffen konfrontiert – Heime sind am stärksten betroffen
Schulen sahen sich zu 43%, Internate zu knapp 40% und Heime zu über 70% mit verschiedenen Verdachtsfällen auf sexuelle Gewalt in den letzten drei Jahren konfrontiert. Mit 82 % sind Mädchen wesentlich häufiger von sexueller Gewalt betroffen als Jungen – die verdächtigten Täter sind überwiegend männlich. Übergriffe durch an den Institutionen beschäftigte erwachsene Personen sind vergleichsweise selten, wiegen aber schwer, da Kinder wie Eltern Fachkräften vertrauen können müssen
Überwiegend handelte es sich um strafrechtlich schwer fassbare Vorwürfe. 4% der Schulen, 3% der Internate und 10% der Heime nannten einen solchen bekannt gewordenen Verdachtsfall - in jedem 10. Heim wurden zu 20% auch Verdachtsfälle mit Penetration genannt. Mit Übergriffen der Kinder und Jugendlichen untereinander sind die Institutionen deutlich häufiger konfrontiert
16% der befragten Lehrkräfte, 29% der Internatsleitungen und 39% der Heimleitungen berichteten von einem solchen Verdachtsfall in den letzten drei Jahren. 50% der Verdächtigten waren unter 14 Jahre. Die Vorwürfe bezogen sich vor allem auf Berührungen am Körper bzw. an den Geschlechtsteilen. In
Heimen wurde zu 17% auch von Verdachtsfällen mit Penetration berichtet. Am häufigsten entstand Handlungsbedarf durch Verdachtsfälle auf sexuelle Gewalt, die sich zwar außerhalb der Einrichtung ereigneten, aber in der Schule bzw. im Internat oder Heim einer Fachkraft mitgeteilt wurden.
32% der Schulleitungen und 31% der Lehrkräfte, 34% der Internatsleitungen und 17% der Schülervertretungen in Internaten sowie 49% der Teilnehmenden aus den Heimen nannten hierzu Verdachtsfälle. In rund 50% der Verdachtsfälle sind die betroffenen Kinder selbst aktiv geworden und haben sich einer Lehr- oder Fachkraft anvertraut, auch Gleichaltrige, die von betroffenen Kindern eingeweiht wurden, spielten oftmals eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung. Nur selten haben Verhaltensauffälligkeiten auf Seiten der Kinder bei Lehr- oder Fachkräften zu einem Verdacht geführt. Alle Lehr- und Fachkräfte benötigen deshalb Kompetenzen und Ressourcen, die sie befähigen, mit Verdachtsfällen qualifiziert umzugehen. Und Institutionen müssen eine Kultur des offenen Umgangs – Hinschauen statt Wegsehen – praktizieren, betonte Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor und Vorstandsvorsitzender des DJI, auf dem Fachkongress. Maßnahmen zur Prävention nur mäßig verbreitet
Als Präventionsmaßnahmen wurden in Schulen zu 38%, in Heimen zu 30% und in Internaten zu 23% spezifische Veranstaltungen mit Kindern benannt. Fortbildungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden unter den Befragten von 21% der Schulleitungen, 38% der Internats- und 40% der Heimleitungen angegeben. Sexualpädagogische Konzepte schienen ebenfalls wenig verbreitet zu sein, sie wurden nur von etwa 25% der Befragten erwähnt. Etwa 25% der Befragten aller Institutionen konnten zu Präventions-maßnahmen keine Angaben machen. Literaturexpertisen und Fokusgruppen stützen Ergebnisse der Institutionenbefragung
Im Rahmen des DJI-Forschungsprojekts wurden auch drei Literaturexpertisen zum nationalen und internationalen Forschungsstand zu sexueller Gewalt gegen Kinder und zur Aufarbeitung der aktuellen Praxisdiskurse sowie elf Fokusgruppen und fünf Interviews mit Expertinnen und Experten (u. a. Vertreterinnen und Vertreter aus Beratungsstellen, Jugendämtern, Kirchen, Behindertenbereichen, Betroffeneninitiativen) beauftragt. Die Ergebnisse unterstreichen die Erkenntnisse, die sich aus weiteren Aspekten der Aufarbeitung der Unabhängigen Beauftragten ergeben haben. Weitere Informationen unter www.dji.de und www.beauftragte-missbrauch.de.

Quelle: Gemeinsame Pressemitteilung der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs und des Deutschen Jugendinstituts e.V. (DJI) vom 13.07.2011