Bewährungs- und Gerichtshilfe in freier Trägerschaft ein Erfolgsmodell

17.05.2010 | Soziale Arbeit | Nachrichten

Bewährungs- und Gerichtshilfe in freier Trägerschaft in Baden-Württemberg - Justizministerium und NEUSTART ziehen positive Zwischenbilanz - Goll: "Ein Erfolgsmodell"

„Wir haben es nicht anders erwartet, dennoch freut es uns: Nachdem bereits der erste Bericht eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers über den Abschluss für das Jahr 2007 die angestrebte Effizienzsteigerung durch die freie Trägerschaft bestätigt hatte, zeigen nun auch die Folgejahre ganz deutlich, dass die Übertragung der Bewährungs- und Gerichtshilfe auf den freien Träger NEUSTART ein Erfolgsmodell ist. NEUSTART erledigt die übertragenen Aufgaben in tadelloser Qualität und zu weit günstigeren Konditionen, als es der Staat könnte. Da gibt es nichts zu meckern“. Das sagte Baden-Württembergs Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll (FDP) am Montag (17. Mai 2010) in Stuttgart.

Mehr Qualität zu niedrigeren Kosten

Seit Januar 2007 nimmt NEUSTART die Aufgaben der Bewährungs- und Gerichtshilfe in Baden-Württemberg unter der Aufsicht des Justizministeriums wahr. Gemeinsam mit Dipl.-Ök. Volkmar Körner und Georg Zwinger, den Geschäftsführern von NEUSTART, zog der Minister eine uneingeschränkt positive Zwischenbilanz. „Die Vorteile unserer Kooperation liegen auf der Hand. Das notwendige Qualitätsniveau der justiznahen Sozialarbeit bleibt trotz immer knapper werdenden Ressourcen gewahrt, es hat sich eher noch gesteigert. Man kann sagen: NEUSTART erledigt die übertragenen Aufgaben besser, als der Staat es könnte, nur kostet es uns mittelfristig weniger“, so Goll.

Mittelfristige Sachkosteneinsparungen von rund 0,5 Mio. Euro/Jahr
Wäre die Bewährungs- und Gerichtshilfe Aufgabe des Staates geblieben, würde dies beim Land mittelfristig pro Jahr rund 5,9 Mio. Euro Sachkosten verursachen. NEUSTART erhalte vom Land ab dem Jahr 2016 rund 5,5 Mio. Euro, das Land spare mittelfristig also fast eine halbe Mio. Euro im Jahr, sagte Volkmar Körner, NEUSTART-Geschäftsführer für wirtschaftliche Angelegenheiten. Zu Beginn der Vertragslaufzeit im Jahr 2007 habe das vom Land an NEUSTART gezahlte Grundentgelt mit 6,3 Mio. Euro zwar noch über den früheren Sachkosten der verstaatlichten Bewährungshilfe gelegen. Dies erkläre sich aus den erforderlichen Anfangsinvestitionen der Reform. Im Laufe der Vertragszeit kehre sich das Verhältnis rasch um. Das Grundentgelt sinke dann unter die inflationsbedingt indexierten fiktiven Landeskosten. „Dieser Effekt hat sich für uns bereits 2009 bemerkbar gemacht, als NEUSTART 1 Mio. Euro aus dem Grundentgelt an das Land zurückgezahlt hat“, ergänzte Goll.

Einsparung von Entwicklungskosten

„Darüber hinaus konnten in erheblichem Umfang Entwicklungskosten dadurch erspart werden, dass NEUSTART auf bereits vorhandenes österreichisches Know-how zurückgreifen konnte. Hätte das Land - wie es andere Bundesländer versuchen - in staatlicher Trägerschaft eine eigene elektronischen Klientendokumentation und Fachsoftware entwickeln und ein eigenes Controlling und Qualitätsmanagement aufbauen wollen, wären dem Land allein hierfür zusätzliche Investitionskosten von rund 3,7 Mio. Euro neben den laufenden Kosten für Wartung und Pflege von mindestens rund 0,5 Mio. Euro jährlich entstanden“, machte Körner deutlich.

Personalkosten unverändert

Bei den Personalkosten ergeben sich für das Land keine wesentlichen Veränderungen. Die Landesbeamten werden wie bislang vom Land bezahlt. Auf Dauer fallen die Pensionslasten weg, wenn ausscheidende Beamte durch Angestellte von NEUSTART ersetzt werden. Für jeden ausscheidenden Beamten leistet das Land ein entsprechendes Kapitalisierungsentgelt an NEUSTART. Davon stellt NEUSTART eigene Mitarbeiter ein. „An dieser Stelle glaubt manch ein Reformkritiker, den erhobenen Zeigefinger ausstrecken zu können. Da empfehle ich, zur Kenntnis zu nehmen, dass Einsparungen am Personal gar nicht beabsichtigt waren“, stellte der Minister klar. Auch in staatlicher Trägerschaft wären Personalaufstockungen erforderlich geworden, wie sie jetzt über NEUSTART tatsächlich erfolgten. Allein eine Verstärkung um 15 Stellen wie in Bayern und Niedersachsen sowie die Einführung neuer Führungsstrukturen hätte in staatlicher Trägerschaft zu jährlichen Mehrkosten von über 2,5 Mio. Euro geführt. Die Personalkosten hätten sich in staatlicher Trägerschaft also deutlich ungünstiger entwickelt, bemerkte Goll.

Fallbelastung signifikant gesenkt

NEUSTART habe aus eigenen Mitteln 40 neue Stellen in der Bewährungshilfe zusätzlich geschaffen. Bei einer Stellenzahl von bisher rund 330 entspreche das einem Stellenzuwachs von über 10 Prozent, erklärte NEUSTART-Geschäftsführer für Sozialarbeit, Georg Zwinger. „So konnten wir die Fallbelastung pro Bewährungshelfer signifikant senken. War ein Bewährungshelfer im Landesschnitt vor Übertragung in freie Trägerschaft für rund 100 Klienten zuständig, so betreut er heute im Schnitt ca. 80. Wir streben eine weitere Absenkung an. Dadurch bleibt mehr Zeit für die Betreuung jedes einzelnen Klienten.“

Bereits 360 Ehrenamtliche gewonnen

NEUSTART habe die ehrenamtliche Bewährungshilfe etabliert, die zuvor nur auf dem Papier, wenn auch im Strafgesetzbuch, existiert habe, betonte der Minister. „Durch die Mitarbeit von Ehrenamtlichen ermöglichen und vertiefen wir den Zugang zu anderen Institutionen, Berufsgruppen und sozialen Feldern“, sagte Goll. NEUSTART habe bereits 360 Ehrenamtliche gewinnen können, die derzeit rund 600 Klienten betreuten, mit stetig steigender Tendenz, ergänzte Zwinger. Die Ehrenamtlichen würden von NEUSTART intensiv für ihre Aufgabe ausgebildet. „Es handelt sich dabei auch nicht um eine Art ´Bewährungshilfe light´, wie manchmal herablassend gespottet wird. Die Zielsetzung ist eine ganz andere: Ehrenamtliche können sich insbesondere den Alltagsproblemen der Klienten mit mehr Zeit widmen als Hauptamtliche. Denn Ehrenamtliche betreuen derzeit im Schnitt weniger als zwei Klienten, angestrebt ist ein Schnitt von drei Klienten pro ehrenamtlichem Bewährungshelfer. Den Hauptamtlichen bleiben Fälle vorbehalten, die professionelle sozialarbeiterische Kenntnisse erfordern, etwa die Betreuung von Sexual- und Gewaltstraftätern sowie Personen mit schweren Persönlichkeitsstörungen“, so Zwinger.

Täter-Opfer-Ausgleich ausgeweitet

Ebenso habe NEUSTART den Täter-Opfer-Ausgleich weiter ausgeweitet und die Ausbildung der Konfliktschlichter verstärkt, teilte Goll mit. Der Täter-Opfer-Ausgleich erweise sich häufig als idealer Weg, um Alltagskriminalität, wie etwa einfache Körperverletzungen, und ihre Folgen schnell und zielorientiert aufzuarbeiten. „Das Opfer erhält schnell einen Ausgleich. Ihm und der Allgemeinheit bleiben möglicherweise mehrere Gerichtsverfahren erspart. Und auch bei den Tätern ergeben sich deutliche bessere Resozialisierungsergebnisse“, verdeutlichte der Minister die Vorteile. NEUSTART bestätige in Baden-Württemberg die allgemeine internationale Erfahrung, dass der Täter-Opfer-Ausgleich am effektivsten in privater Hand betrieben werde. Im Jahr 2009 sei die Zahl der TOA-Aufträge auf landesweit 1.100 gegenüber rund 850 im Vorjahr gestiegen. Langfristiges Ziel sei eine Steigerung auf über 3.000 Aufträge.

Qualitätsstandards und moderne EDV eingeführt

NEUSTART habe landesweit verbindliche Qualitätsstandards eingeführt, so Zwinger weiter. „Erst durch solche Standards wird aus vielen einzelnen Bewährungshelfern eine einheitliche Bewährungshilfe. Soweit sich Qualität in Zahlen abmessen lässt, können wir auf die niedrige Quote der Bewährungswiderrufe von rund 19 Prozent verweisen. Vier von fünf Bewährungen werden also erfolgreich abgeschlossen.“ Zur Einheitlichkeit trage auch die neu gestaltete Fachaufsicht bei, die nun „von Sozialarbeitern für Sozialarbeiter“ ausgeübt werde, so Zwinger. Früher sei die Fachaufsicht bei den Landgerichten gelegen, also bei Juristen ohne spezifisch sozialarbeiterische Fachkenntnisse. In den neuen Führungsstrukturen brächten viele der gut qualifizierten Landesbediensteten ihr Wissen und ihre Erfahrung ein. Eine wichtige Rolle bei der Einführung verbindlicher Qualitätsstandards spiele das Fortbildungsangebot für die Mitarbeiter, das NEUSTART erheblich ausgebaut habe, sagte Zwinger. Auch die neue - zum Teil erstmalige - EDV-Ausstattung bedeute einen großen Schritt nach vorn. Alle Mitarbeiter nutzten moderne Fachsoftware zur elektronischen Klientendokumentation. Das ermögliche dem Bewährungshelfer selbst, aber auch einem Kollegen im Vertretungs- oder Nachfolgefall einen schnellen und einheitlichen Überblick über die Situation des Klienten. „Die Dokumentationsarbeit wird zwar gerade von älteren Mitarbeitern, die das Diktiergerät dem Computer vorziehen, als belastend angesehen. Viele Mitarbeiter aber haben ihre Betreuungstätigkeit auch schon vor der Reform mit erheblichem Zeitaufwand dokumentiert. Sie begrüßen die jetzt eingeführte Einheitlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Dokumentation“, erläuterte Zwinger.

Hintergrundinformationen

Die NEUSTART gemeinnützige GmbH, eine Tochter des österreichischen Vereins NEUSTART, ist seit fünf Jahren als freier Träger in der Bewährungshilfe tätig. Nach einer Pilotphase 2005 und 2006 in den LG-Bezirken Stuttgart und Tübingen wurde ihr zum 1.1.2007 landesweit die Bewährungs- und Gerichtshilfe übertragen. Damit ist man - nach der Verstaatlichung in den 1970er Jahren - zum „Urzustand“ der freien Trägerschaft zurückgekehrt. Die früheren Bediensteten in der Bewährungshilfe bleiben Landesbeamte. Derzeit liegt das Verhältnis bei etwa 2/3 Beamten gegenüber 1/3 NEUSTART-Angestellten - bei rund 370 Stellen insgesamt. Weitere Informationen finden Sie unter: www.neustart.at/DE/de/

Quelle: Pressemitteilung des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 17.05.2010
http://www.baden-wuerttemberg.de/sixcms/detail.php?id=230770