Beschäftigungsförderung für die Sozialgerichte – Sozialgerichtstag kritisiert Sparpaket der Bundesregierung

16.06.2010 | Sozialpolitik | Nachrichten

Monika Paulat, Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstags, zu den von der Bundesregierung angekündigten Sparmaßnahmen im Sozialbereich

„Unter dem Strich: Beschäftigungsförderung für die Sozialgerichte!“ Mit diesen Worten bewertete Monika Paulat, Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstags, die von der Bundesregierung angekündigten Sparmaßnahmen im Sozialbereich. „Die Einschnitte bei den Hartz IV-Empfängern kürzen deren Leistungen, ohne die bekannten Schwachstellen des Gesetzes zu beheben. Die erhofften Beschäftigungsanreize müssen so ausbleiben.“ Als besonders problematisch bezeichnete Monika Paulat die vorgesehene Umwandlung von Pflichtleistungen in Ermessensleistungen. Damit entfiele beispielsweise der erst vor kurzem eingeführte Anspruch Jugendlicher auf Förderung eines Hauptschulabschlusses. Zudem liege bereits heute die Gewährung und Auswahl der meisten Eingliederungshilfen im Ermessen der Sachbearbeiter. Eine Verbesserung der Zielgenauigkeit solcher Maßnahmen sei daher nicht zu erwarten, lediglich eine Abnahme der Förderfälle. Gleichzeitig warnte Monika Paulat vor einer erneuten massiven Zunahme der Klagen vor den Sozialgerichten: „Die Erfahrung mit Ermessensleistungen zeigt, dass diese besonders streitanfällig sind. Gleichzeitig liegt hier die Erfolgsquote der Kläger sehr hoch. Zwar haben sie in den meisten Fällen keinen Anspruch auf eine ganz bestimmte Leistung, wohl aber auf eine rechtmäßige Ermessensausübung. Häufig ist die Verwaltung damit überfordert und muss dann das Verwaltungsverfahren nach den Vorgaben des Gerichts wiederholen. So produziert man Mehrarbeit für Gerichte und Verwaltung, also Mehrkosten anstelle von Einsparungen!“ In diesem Zusammenhang forderte Monika Paulat, trotz der geplanten Einsparungen im Personalbereich an der im Kompromiss zur Organisationsreform der Argen vereinbarten Entfristung von zeitlich beschränkten Stellen für Mitarbeiter der Argen festzuhalten: „Nur Erfahrene Sachbearbeiter sind in der Lage, ein so kompliziertes Gesetz fehlerfrei anzuwenden. Nur wenn sich Sachbearbeiter und Hilfebedürftige über längere Zeit kennen, können Fördermaßnahmen wirklich zielgenau eingesetzt werden. Daher hat der Deutsche Sozialgerichtstag bereits früher gefordert, die Praxis
befristeter Anstellungen in den Argen zu beenden, um die Klageflut vor den Sozialgerichten zu verringern.“ Ferner kritisiert Monika Paulat die Streichung der Rentenversicherungsbeiträge und des Elterngeldes für Hartz IV-Empfänger: „Durch die Streichung der bisher vom Bund gezahlten Rentenbeiträge werden Hartz IV-Empfänger später eine geringere Rente bekommen. Da bei Langzeitarbeitslosen die zu erwartenden Renten häufig unter dem Sozialhilfeniveau liegen, werden sie dann Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter haben. Die Kosten hierfür tragen in erster Linie die Landkreise und großen Städte. Der Bundeshaushalt wird zwar kurzfristig entlastet, mittel- und langfristig kommt es aber zu einer stärkeren Belastung der Haushalte von Ländern und Kommunen. Auch sollte man überlegen, ob es vor dem Hintergrund des Verfassungsgerichtsurteils zu den Kinderregelsätzen sinnvoll ist, das Elterngeld für Hartz IV-Familien zu streichen. Nach Auffassung des Deutschen Sozialgerichtstags sollte das Elterngeld frühestens entfallen, wenn die neuen Regelsätze nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ermittelt sind und feststeht, dass diese auskömmlich sind.“ Wesentliches Sparpotential sieht der Deutsche Sozialgerichtstag bei den Kosten der Unterkunft. Streitigkeiten aus diesem Bereich machen einen sehr großen Teil der Prozesse vor den Sozialgerichten aus. „Würde der Bund endlich eine  Verordnung über die Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten erlassen, würde den Kommunen die Arbeit wesentlich erleichtert. Überzahlungen könnten vermieden werden und viele Prozesse würden überflüssig,“ so Monika Paulat zu diesem Thema.

Hintergrund

Der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. ist ein interdisziplinärer Fachverband und beteiligt sich auf allen Gebieten des Sozialrechts an der rechtspolitischen Debatte. Zu diesem Zweck veranstaltet er alle zwei Jahre einen öffentlichen Kongress, den „Deutschen Sozialgerichtstag“. Zwischen den Sozialgerichtstagen verfolgt er sein Ziel durch die Veranstaltung von Workshops und die Begleitung von Gesetzgebungsverfahren. Er wirkt als Sachverständiger bei Anhörungen des Deutschen Bundestags und in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht mit. Der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. ist keine berufsständische Vertretung, sondern ein Forum für alle, die dem Sozialrecht
beruflich verbunden sind. Zu seinen Mitgliedern gehören neben Anwälten und
Richtern auch Rentenberater, Verwaltungsmitarbeiter, Ärzte,  Pflegesachverständige sowie Vertreter aus Verbänden und Politik.
Die Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstag e.V. Monika Paulat ist Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg.

Hinweis

Der 3. Deutsche Sozialgerichtstag findet am 18. und 19. November 2010 unter dem Motto „Sozialrecht als Menschenrecht“ in Potsdam statt. Den Eröffnungsvortrag hält die Richterin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ehemalige Bundesverfassungsrichterin Renate Jäger. Das genaue Programm ist ab Anfang Juli 2010 unter www.sozialgerichtstag.de abrufbar.

Quelle: Pressemitteilung des Deutschen Sozialgerichtstag e.V. vom 14.06.2010
http://www.sozialgerichtstag.de