Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zum 1. Januar 2005 verfassungsgemäß

29.12.2010 | Sozialpolitik | Nachrichten

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 2010 - 1 BvR 2628/07

Die Arbeitslosenhilfe war eine aus Steuermitteln finanzierte
Entgeltersatzleistung bei Arbeitslosigkeit, die von der Bundesagentur
für Arbeit im Auftrag des Bundes erbracht wurde. Neben weiteren
Tatbestandsvoraussetzungen setzte die Gewährung von Arbeitslosenhilfe
dem Grunde nach die Bedürftigkeit des Antragstellers voraus, während
sich ihre Höhe nicht am Bedarf des Empfängers, sondern an dessen letztem
Arbeitsentgelt orientierte, und sich auf einen bestimmten Prozentsatz
eines pauschalierten Nettoarbeitsentgelts belief. Die Arbeitslosenhilfe
wurde in Zeitabschnitten bewilligt; vor jeder erneuten Bewilligung waren
sämtliche Leistungsvoraussetzungen des Anspruchs erneut zu prüfen. Nach
§ 428 Abs. 1 Satz 1, § 198 Satz 2 Nr. 3 SGB III bestand ferner die
Möglichkeit, Arbeitslosenhilfe unter erleichterten Voraussetzungen in
Anspruch zu nehmen: Auch solche Arbeitnehmer hatten Anspruch auf
Arbeitslosenhilfe, die das 58. Lebensjahr vollendet hatten und die
Regelvoraussetzungen des Anspruchs allein deshalb nicht erfüllten, weil
sie nicht arbeitsbereit waren und nicht alle Möglichkeiten nutzten oder
nutzen wollten, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Davon ging
die Praxis aus, wenn der Arbeitslose gegenüber der Bundesagentur für
Arbeit eine entsprechende Erklärung abgab. Durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom
24. Dezember 2003 wurden die Regelungen der Arbeitslosenhilfe dahin
geändert, dass diese nur noch bis zum 31. Dezember 2004 bewilligt werden
durfte; diese Änderung trat am 1. Januar 2004 in Kraft. Zudem wurde die
Arbeitslosenhilfe ab dem 1. Januar 2005 vollständig aus dem
Leistungskatalog der Arbeitsförderung gestrichen. An ihre Stelle ist das
Arbeitslosengeld II nach den Vorschriften des SGB II – Grundsicherung
für Arbeitsuchende – getreten, dessen Berechnung sich nicht mehr an dem
früheren Einkommen des Hilfebedürftigen, sondern grundsätzlich an dessen
Bedarf orientiert. Der 1946 geborene Beschwerdeführer bezog Arbeitslosenhilfe. Im Juni 2004
gab er eine Erklärung im Sinne von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III ab und
bezog sodann weiter Arbeitslosenhilfe bis zum Jahresende. Seinen Antrag
auf Gewährung von Arbeitslosengeld II ab Januar 2005 lehnte der
Leistungsträger mit der Begründung ab, das anzurechnende monatliche
Einkommen übersteige den ermittelten Gesamtbedarf des Beschwerdeführers
und seiner Ehefrau. Die Klage des Beschwerdeführers auf Weiterzahlung
der Arbeitslosenhilfe blieb vor den Sozialgerichten ohne Erfolg. Der
Beschwerdeführer sieht sich durch die angegriffenen Entscheidungen und
durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe in seinem Grundrecht auf
Eigentum verletzt und rügt ferner einen Verstoß gegen den
verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers, soweit sie zulässig war,
als unbegründet zurückgewiesen. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe
ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: 1. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe verletzt den Beschwerdeführer
nicht in seinem Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG), da der
gesetzliche Anspruch auf Arbeitslosenhilfe kein Eigentum im Sinne dieses
Grundrechts ist. Dies gilt auch für die Gewährung von Arbeitslosenhilfe
unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III.
Sozialrechtliche Ansprüche genießen nur dann grundrechtlichen
Eigentumsschutz, wenn es sich um vermögenswerte Rechtspositionen
handelt, die der Existenzsicherung dienen und auf nicht unerheblichen
Eigenleistungen ihres Inhabers beruhen. Letzteres trifft auf den gesetzlichen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe
nicht zu. Es bestand kein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang
zwischen den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung und den Aufwendungen
für die Arbeitslosenhilfe. Die Beitragseinnahmen dienten allein der
Finanzierung des Arbeitslosengeldes, nicht aber der Arbeitslosenhilfe,
die im Auftrag des Bundes immer aus Steuermitteln erbracht wurde. Die
Arbeitslosenhilfe war finanzrechtlich auch nicht als eine aus Beiträgen
und Steuern mischfinanzierte Einheit konzipiert. Die grundlegenden
Unterschiede zwischen dem Arbeitslosengeld und der Arbeitslosenhilfe
schließen auch die Annahme aus, dass beide Leistungen in einem
einheitlichen Gesamtanspruch verbunden waren. Während das
Arbeitslosengeld eine zeitlich begrenzte Versicherungsleistung war, traf
dies auf die grundsätzlich zeitlich unbefristet geleistete
Arbeitslosenhilfe nicht zu, die zudem - anders als das Arbeitslosengeld
- nur bei Bedürftigkeit unter Berücksichtigung des Vermögens gewährt
wurde. Die Arbeitslosenhilfe war eine sozialpolitisch motivierte
Leistung, die ohne Bezug auf die Beitragsleistung des Versicherten und
nicht als modifizierte Fortsetzung des Arbeitslosengeldes geleistet
wurde. 2. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe verstößt nicht gegen das
Vertrauensschutzprinzip, weil sie keine Rückwirkung entfaltete und der
Beschwerdeführer auch nicht aus anderen Gründen vor einer Änderung der
Rechtslage geschützt war. Eine echte Rückwirkung, bei der ein Gesetz nachträglich ändernd in
abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift oder
seine zeitliche Anwendung auf einen Zeitpunkt vor der Gesetzesverkündung
festlegt, liegt nicht vor. Denn sowohl die Befristung der Neu- oder
Weiterbewilligung der Arbeitslosenhilfe bis zum 31. Dezember 2004 als
auch ihre Abschaffung zum 1. Januar 2005 wirkten sich lediglich auf
zukünftige Bewilligungsabschnitte aus. Auch eine sog. unechte Rückwirkung, die vorliegt, wenn ein Gesetz auf
gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und
Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die
betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet, ist nicht gegeben. Die
Arbeitslosenhilfe wurde nur abschnittsweise und nur nach einer
Neuprüfung der Anspruchsvoraussetzungen bewilligt. Ein Recht, das durch
den Vertrauensschutzgrundsatz gegen seine nachträgliche Entwertung hätte
geschützt werden können, entstand daher frühestens mit der jeweiligen
Neu- oder Weiterbewilligung der Arbeitslosenhilfe und bezog sich nur auf
die Zeit bis zum Ablauf des jeweiligen Bewilligungsabschnitts.
Das allgemeine Vertrauen des Bürgers in den Fortbestand einer Rechtslage
und seine danach erwartete zukünftige Leistungsberechtigung ist keine
verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition. Auch die Abgabe einer
Erklärung nach § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III erweist sich nicht als
Disposition des Arbeitslosen, die schutzwürdiges Vertrauen in den
Fortbestand des Anspruchs begründen konnte. Zudem bestand für den
Beschwerdeführer von vornherein keine Grundlage für die Bildung
schutzwürdigen Vertrauens mit dem Inhalt, dass Arbeitslosenhilfe über
den 31. Dezember 2004 hinaus gewährt würde, weil die Befristung der
Arbeitslosenhilfe bis zum 31. Dezember und ihr Wegfall ab dem 1. Januar
2005 bereits gesetzlich festgelegt waren, bevor er seine Erklärung nach
§ 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III abgegeben hatte.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 120/2010 des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Dezember 2010
http://www.bundesverfassungsgericht.de