Ratgeber für Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen

02.09.2008 | Soziale Arbeit

Traum von den eigenen vier Wänden wahr machen

Die Zahl der Menschen mit Behinderung, die in den eigenen vier Wänden statt im Heim leben, hat sich in Westfalen-Lippe innerhalb von fünf Jahren verdoppelt. Um diesen Trend zu unterstützen, hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) eine neue Ratgeber-Broschüre für behinderte Menschen und ihre Angehörigen herausgegeben ("Selbständigkeit zieht ein: Ambulant Betreutes Wohnen").

LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch: "In Westfalen-Lippe haben 12.400 Menschen mit Behinderung den Traum von der eigenen Wohnung - mit Betreuung - wahr gemacht, in NRW rund 26.400. Seit Mitte 2007 stagniert dagegen in NRW erstmals die Zahl der Heimbewohner."

Menschen mit psychischen Behinderungen stellen nach Angaben von Kirsch mit 56 Prozent die größte Gruppe im Betreuten Wohnen. Der Anteil der geistig behinderten Menschen liege bei nur 23 Prozent. "Wir müssen darum weiter vor allem Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Angehörigen überzeugen, dass man mit entsprechender ambulanter Unterstützung selbstständig leben kann", so der LWL-Direktor. Zu dieser Überzeugungsarbeit solle der neue 32-seitige Ratgeber bei behinderten Menschen und ihren Angehörigen beitragen.

Die kostenlose Broschüre gibt einen Überblick über unterschiedliche Formen des Ambulant Betreuten Wohnens von der eigenen Wohnung bis zur Wohngemeinschaft. Betroffene und ihre Angehörigen bekommen anhand von Beispielen eine Vorstellung über den Weg in die eigenen vier Wände. Das Verfahren wird erläutert, Begriffe werden erklärt und Eltern berichten auch von ihrer anfänglichen Skepsis, als die behinderte Tochter in eine betreute Wohngemeinschaft zog.

Die Broschüre "Selbständigkeit zieht ein: Ambulant Betreutes Wohnen" kann beim LWL bestellt werden unter Telefon 0251 591-5644, per E-Mail soziales@lwl.org oder per Post (LWL-Behindertenhilfe Westfalen, Referat 3, 48133 Münster). Im Internet ist sie als Download unter http://www.lwl.org/lwl/soziales verfügbar.

Hintergrund Der LWL strebt westfalenweit ein Verhältnis von mindestens 40 Prozent Ambulant Betreutem Wohnen zu 60 Prozent stationärer Unterbringung an (2003: 24 zu 76 Prozent, NRW 2004: 26 zu 74 Prozent, 2007 in Westfalen-Lippe und NRW: 38 zu 62 Prozent). Nach Schätzungen werde die Zahl der Behinderten wegen der besonderen Altersstruktur noch bis Mitte des nächsten Jahrzehnts steigen.

Die eigenen vier Wände
Zum Beispiel Axel L. (24): Er will in den eigenen vier Wänden leben und hat den Schritt in ein weitgehend selbstständiges Leben geschafft - mit tatkräftiger Unterstützung seines Vaters. Familien-mitglieder halfen dabei, eine Hausgemeinschaft für rollstuhlabhängige Menschen in Bielefeld ins Leben zu rufen. Axel lebt nun wie seine zwei Mitbewohner in einem Appartement. Außerdem nennen die drei Rollstuhlfahrer einen Gemeinschaftsbereich mit rollstuhlgerechter Küchenzeile und einem Pflege-Bad ihr Eigen. Im Alltag werden Axel L. und seine Mitbewohner von Fachkräften betreut, die der LWL bezahlt.

Eine Milliarde Euro pro Jahr
Der LWL gibt pro Jahr fast eine Milliarde Euro an so genannter Eingliederungshilfe für das Wohnen behinderter Menschen aus. Ein Platz im Heim kostet pro Tag durchschnittlich 100 Euro, die Betreuung in den eigenen vier Wänden dagegen zwischen 40 und 60 Euro täglich. Seit dem 1. Juli 2003 - und zunächst befristet bis zum Jahr 2010 - ist der LWL nicht nur für die Heimbetreuung verantwortlich, sondern zahlt auch die Kosten des Betreuten Wohnens behinderter Menschen.

"Längst nicht jeder behinderte Mensch braucht die umfassende Betreuung, die ein Wohnheim bietet. Im Gegenteil: Für viele bietet die eigene Wohnung zusätzliche Lebensqualität", so LWL-Sozialdezernent Matthias Münning. Behinderte Menschen sollten stärker mitreden, wenn es um ihre Wohnsituation gehe. "Wir wollen weiter umsteuern. Menschen mit Behinderungen sollen betreut zuhause leben, wann immer das geht und sie es wollen. Gleichzeitig muss die öffentliche Hand sparen wo es geht", erläutert Münning.

Weder die Qualität der Betreuung leide noch, werde jemand gezwungen, aus dem Heim auszuziehen. Münning: "Wir wollen aber den Landschaftsverband und damit die Städte und Kreise finanziell entlasten." Erstmals sei es jetzt gelungen, die Durchschnittskosten für Hilfen beim Wohnen (Heim und betreutes Wohnen) unter 76 Euro pro Tag zu senken (2007: 75,24 Euro, 2004: 76,83 Euro).

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit steigt in Deutschland die Zahl der behinderten Personen mit Betreuungsbedarf Jahr für Jahr an, jährlich um rund 10.000 Personen, in Westfalen-Lippe um zirka 1.000. Der medizinische Fortschritt und die moderne Betreuung tragen dazu bei, dass heutzutage erfreulicherweise auch viele sehr schwer behinderte Menschen ein normales Lebensalter erreichen.


Quelle: Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL)