Betreutes Wohnen für Menschen mit Behinderung zeigt erste Erfolge

21.08.2008 | Soziale Arbeit

Nach einer Bilanz des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) hat sich die Zahl der Menschen, die in den eigenen vier Wänden statt im Heim leben, innerhalb von fünf Jahren in der Region verdoppelt.

Das Ambulant Betreute Wohnen für Menschen mit Behinderung zeigt erste Erfolge: Nach einer Bilanz des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) hat sich die Zahl der Menschen, die in den eigenen vier Wänden statt im Heim leben, innerhalb von fünf Jahren in der Region verdoppelt. Seit Mitte 2007 stagniere dagegen in NRW - bundesweit einmalig - erstmals die Zahl der Heimbewohner.

LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch: "In Westfalen-Lippe werden zur Zeit 12.400 Menschen mit Behinderung in ihrer eigenen Wohnung betreut, 2003 waren es nur rund 6.000. Die Anstrengungen gemeinsam mit den Städten und Kreisen zeigen gute Ergebnisse." (Zahlen für NRW: 2004: 15.300, 2007: 26.400) In Westfalen-Lippe leben 20.600 Menschen mit Behinderung in Wohnheimen (2003: 18.700; Zahlen für NRW: 2004: 42.800, 2007: 43.900), weil sie wegen ihrer meist geistigen oder mehrfachen Behinderung dauerhaft fremde Hilfe brauchen. Kirsch verwies auch auf die gute Zusammenarbeit mit der Freien Wohlfahrtspflege.

Der LWL strebt westfalenweit ein Verhältnis von mindestens 40 Prozent ambulant Betreutem Woh-nen zu 60 Prozent stationärer Unterbringung an (2003: 24 zu 76 Prozent, NRW 2004: 26 zu 74 Prozent, 2007 in Westfalen-Lippe und NRW: 38 zu 62 Prozent). Nach Schätzungen werde die Zahl der Behinderten wegen der besonderen Altersstruktur noch bis Mitte des nächsten Jahrzehnts steigen.

Was für die meisten Menschen selbstverständlich sei, wie die Wohnung selbst einzurichten oder selbst zu kochen, bedeute für Menschen mit Behinderung erste Schritte in ein eigenständiges Leben und zwar dann, wenn die Betreuung dazu komme, schildert Kirsch die Vorteile des betreuten Wohnens. "Das heißt, Hilfe zu haben, wenn es einem schlecht geht oder Unterstützung zu bekommen beim Geldeinteilen, Briefe schreiben oder Putzen."

Die eigenen vier Wände
Zum Beispiel Axel L. (24) aus Bielefeld: Er will in den eigenen vier Wänden leben und hat den Schritt in ein weitgehend selbstständiges Leben geschafft - mit tatkräftiger Unterstützung seines Vaters. Familienmitglieder halfen dabei, eine Hausgemeinschaft für rollstuhlabhängige Menschen in Bielefeld ins Leben zu rufen. Axel lebt nun wie seine zwei Mitbewohner in einem Appartement. Außerdem nennen die drei Rollstuhlfahrer einen Gemeinschaftsbereich mit rollstuhlgerechter Küchenzeile und einem Pflege-Bad ihr Eigen. Im Alltag werden Axel L. und seine Mitbewohner von Fachkräften betreut, die der LWL bezahlt.

Eine Milliarde Euro pro Jahr
Der LWL gibt pro Jahr fast eine Milliarde Euro an so genannter Eingliederungshilfe für das Wohnen behinderter Menschen aus. Ein Platz im Heim kostet pro Tag durchschnittlich 100 Euro, die Betreuung in den eigenen vier Wänden dagegen zwischen 40 und 60 Euro täglich. Seit dem 1. Juli 2003 - und zunächst befristet bis zum Jahr 2010 - ist der LWL nicht nur für die Heimbetreuung verantwortlich, sondern zahlt auch die Kosten des Betreuten Wohnens behinderter Menschen.

"Längst nicht jeder behinderte Mensch braucht die umfassende Betreuung, die ein Wohnheim bietet. Im Gegenteil: Für viele bietet die eigene Wohnung zusätzliche Lebensqualität", so LWL-Sozialdezernent Matthias Münning. Behinderte Menschen sollten stärker mitreden, wenn es um ihre Wohnsituation gehe. "Wir wollen weiter umsteuern. Menschen mit Behinderungen sollen betreut zuhause leben, wann immer das geht und sie es wollen. Gleichzeitig muss die öffentliche Hand sparen wo es geht", erläutert Münning.

Weder die Qualität der Betreuung leide noch werde jemand gezwungen, aus dem Heim auszuziehen. Münning: "Wir wollen aber den Landschaftsverband und damit die Städte und Kreise finanziell entlasten." Erstmals sei es jetzt gelungen, die Durchschnittskosten für Hilfen beim Wohnen (Heim und betreutes Wohnen) unter 76 Euro pro Tag zu senken (2007: 75,24 Euro, 2004: 76,83 Euro). Langfristig könne man in Westfalen-Lippe Kostenvorteile von über 20 Millionen Euro pro Jahr erzielen, wenn alle Maßnahmen griffen.

Weitere Anstrengungen
Menschen mit psychischen Behinderungen stellen nach Angaben von Kirsch mit 56 Prozent immer noch die größte Gruppe im Betreuten Wohnen. Der Anteil der geistig behinderten Menschen liege bei nur 23 Prozent. "Wir müssen darum weiter vor allem Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Angehörigen überzeugen, dass man mit entsprechender ambulanter Unterstützung selbstständig leben kann", so der LWL-Direktor. Kirsch kündigte an, insbesondere die Überzeugungsarbeit bei geistig behinderten Menschen und ihren Angehörigen zu verstärken.

Immer noch gibt es nach Angaben von Kirsch Unterschiede in der Versorgungslandschaft. Kirsch: "Unser Ziel der nächsten Jahre muss es sein, das ein behinderter Mensch, egal wo er in Westfalen-Lippe lebt, die gleiche Chance hat, einen Platz im Betreuten Wohnen zu bekommen."

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit steigt in Deutschland die Zahl der behinderten Personen mit Betreuungsbedarf Jahr für Jahr an, jährlich um rund 10.000 Personen, in Westfalen-Lippe um zirka 1.000. Der medizinische Fortschritt und die moderne Betreuung tragen dazu bei, dass heutzutage erfreulicherweise auch viele sehr schwer behinderte Menschen ein normales Lebensalter erreichen.

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Quelle: Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL)