"Bin nicht blind, kann nur schlecht gucken"

09.10.2007 | Soziale Arbeit

Sabrina Andrzejak ist Hauswirtschafterin im AOK-Bildungszentrum Dortmund

Die "Woche des Sehens" ist vom 7. bis 15. Oktober 2007. Ein Schwerpunktthema: Blindheit und Beruf. Schirmherr Bundespräsident Horst Köhler:" Ich mache gern mit. Blinde und Sehbehinderte leisten einen wertvollen Beitrag in den Unternehmen und Betrieben." Zum Beispiel Sabrina Andrzejak. Was sie im Berufsbildungwerk Soest des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) gelernt hat, wendet die Hauswirtschafterin jetzt in der Großküche des AOK-Bildungszentrums Westfalen-Lippe in Dortmund an.

 

Dortmund/Münster/Soest (lwl). Auf dem Parkplatz steht eine Kuh. Auf Rollschuhen. Bunt gemalt, als Werbegag an einem Kühllastwagen. Der liefert hier im Bildungszentrum der AOK Westfalen-Lippe Lebensmittel an. Sabrina Andrzejak, die junge Mitarbeiterin in der Großküche, kann den LKW noch erkennen. Die bunte Kuh schon kaum mehr. So stark sehbehindert ist Sabrina. Dennoch: Hinter der Ausgabetheke der Bildungsstätte im südlichen Dortmunder Stadtteil Reismark bescheinigen sie ihr einen guten Job. Gelernt hat ihn die Hauswirtschafterin drei Jahre lang im Berufsbildungswerk Soest des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL).

 

Wenn an der Theke der Ansturm der Gäste beginnt, die vor oder nach dem Unterricht hungrig in den großen Speiseraum strömen, müssen alle auf ihren Posten sein. Sabrina Andrzejak ist heute für den Kaffeeschalter und den Frühstücksdienst zuständig. Anschließend bedient sie die Spülmaschine. "Da gab es am Anfang ein paar Probleme, weil ich Flecken auf dem fertigen Besteck nicht richtig erkannt habe, wenn es schnell gehen musste," sagt sie.

Inzwischen sitzen die Handgriffe. Auch Elisabeth Mraz, Teamleiterin des Wirtschaftsbereiches, ist mit dem Geschirr jetzt gut zufrieden: "Sabrina gibt sich wirklich große Mühe, selbst wenn sie aufgrund ihrer Sehbehinderung gelegentlich an Grenzen kommt."

 

Unterstützung war nötig in den ersten Wochen am Kaffeeschalter. Zum Beispiel beim Befüllen der weißen Kannen mit Teewasser. Sabrina Andrzejak konnte nicht erkennen, wann die Kanne voll war. "Ist die blind?", fragten die jungen Gäste unverblümt, wenn sie sich am überlaufenden heißen Wasser die Finger verbrannten. "Nein, blind bin ich nicht, aber ich kann ein bisschen schlecht gucken", hat Sabrina darauf erwidert. Durch "dumme Sprüche" lässt sie sich kaum noch aus der Ruhe bringen.

 

Für das Problem mit den überlaufenden Teekännchen war schnell eine Lösung gefunden. "Beim Befüllen ganz leicht schräg halten, dann kann man fühlen, wenn das Wasser gegen den oberen Rand fließt", riet ihr Teamleiterin Mraz. Die Hauswirtschaftsleiterin, die seit 28 Jahren hier die Küchenleitung hat, arbeitete früher in der Schweiz mit gehörlosen Menschen zusammen: "Die hatten auch so manchen Selbsthilfe-Trick drauf. Da habe ich mich im Falle der Kollegin Andrzejak einfach gefragt, wie geht's besser, wie sieht eine Sehbehinderte?"

 

Die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen ist offensichtlich kein Problem für die 22jährige Berufsstarterin, die nach der Ausbildung einige vergebliche Bewerbungen geschrieben hat, bevor sie im Januar 2007 die Stelle im Bildungszentrum bekam. "Die unterstützen mich und helfen mir", sagt Sabrina und grinst: "Ich bin hier das Küken".

 

Und kollegiale Hilfe erfährt "das Küken" selbst auf dem Weg zur Arbeit. Besonders beim Wochenenddienst, wenn ausgedünnte Fahrpläne der auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesenen Sehbehinderten das pünktliche Erreichen des Arbeitsplatzes erschweren: "Dann holen mich meine Kolleginnen an der S- oder U-Bahn-Haltestelle ab. Das klappt auch total gut. Wenn die eine gerade Urlaub hat, kommt die andere", schildert Sabrina.

 

Ihre weiteren Aussichten? "Ich würde mich freuen", sagt Teamleiterin Mraz, "wenn der Zeitvertrag, der Ende des Jahres ausläuft, unbefristet weitergeführt würde. Dann hat die Kollegin Andrzejak auch alle Jahreszeiten und die verschiedenen saisonabhängigen Menüs mal mitgekocht und hat über alles einen guten Überblick gewonnen. Auch mit Sehbehinderung."

 

Ein Gong tönt durch die Küche, in der es ausnahmsweise mal still ist. Die Küchenbesatzung hat Pause. Ruhe vor dem Mittagessenansturm: Die Damen sitzen draußen in der Sonne vor der Küche und genießen ein paar Ausruh-Minuten. Sabrina Andrzejak mittendrin. Seit morgens vier Uhr ist sie auf den Beinen, um nach zwei Mal Umsteigen pünktlich bei der Arbeit zu sein. Die bunte Kuh auf Rollschuhen - aus den Augen, aus dem Sinn. Längst auf ihrem Kühllaster weggefahren. Nebensache.

 

Hintergrund:

 

Das LWL-Berufsbildungswerk Soest bildet jährlich 30 bis 40 blinde und sehbehinderte junge Menschen in den Berufsfeldern Wirtschaft und Verwaltung, Ernährung und Hauswirtschaft, Metalltechnik und im Handwerk aus."Die Ausbilder/-innen und Integrationsberater/-innen dort unternehmen alles, um den Absolventen geeignete Arbeitsstellen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln", lobt LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch.

 

Dabei arbeitet das LWL-Berufsbildungswerk Soest im "Netzwerk Berufliche Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen (NBT)" zusammen mit bundesweit 15 ähnlichen Einrichtungen und zwei Selbsthilfeorganisationen. In der "Woche des Sehens" wirbt das NBT gemeinsam mit dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband und der Bundesagentur für Arbeit für die beruflichen Belange seiner Klientel.

 

Mehr Infos: www.ihre-einstellung.de und www.lwl-bbw-soest.de

 

Pressekontakt:

 

Erwin Denninghaus, Tel. 02921 684-223 und Karl G. Donath, Tel. 0251 591-235

presse@lwl.org


Quelle: Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL)