Sprechblase aus Neonleuchtröhre
Jason Leung / Unsplash

Systemische Gesprächsführung: Effektive Kommunikation für nachhaltige Veränderung

von Farina Eggert & Gesine Köster-Ries
28.03.2025 | Dossier

Die systemische Gesprächsführung ist eine wertvolle Methode, um effektiv mit Menschen in verschiedenen Lebenssituationen zu kommunizieren. Sie wird in den Bereichen Psychotherapie, Coaching, Beratung und sogar im Geschäftsleben eingesetzt. Dieser Artikel erklärt, was systemische Gesprächsführung ausmacht, welche Vorteile sie bietet und wie sie angewendet werden kann.

Was sind die Grundaspekte systemischer Gesprächsführung?

Das Hauptziel systemischer Gesprächsführung besteht darin, komplexe Beziehungsgeflechte und Interaktionsmuster zwischen Menschen zu verstehen und positive Veränderungen zu bewirken. Dabei greift sie zumeist auf einen umfangreichen Methodenkoffer zurück. Die Schlüsselprinzipien der systemischen Gesprächsführung sind dabei:

  1. Ganzheitlicher Ansatz: Die systemische Gesprächsführung betrachtet Probleme nicht isoliert, sondern als Teil eines größeren Systems. Das bedeutet, dass sie alle relevanten Faktoren und Beziehungen in Betracht zieht.
  2. Ressourcenorientierung und Wertschätzung: Statt sich auf Schwächen und Probleme zu konzentrieren, widmet sich die systemische Gesprächsführung der Ressourcen und Stärken der beteiligten Personen.
  3. Kontextbezogenheit: Die Gesprächsführung berücksichtigt den Kontext, in dem die Probleme auftreten, und wie dieser die Interaktionen beeinflusst. Das Grundprinzip „Jedes Verhalten macht Sinn“, ist die Basis für die wertschätzende und verständnissuchende Grundhaltung.
  4. Autonomie: Die systemische Gesprächsführung betrachtet alle Akteure als Expert:innen der eigenen Lebenswelt und Realität. Nur von ihnen selbst entwickelte Lösungen gelten hierbei als umsetzbare Lösungen.
  5. Lösungsorientierung: Das Hauptziel ist es, positive Veränderungen herbeizuführen und Lösungen zu finden, anstatt in der Problematik zu verharren.

Wie läuft ein systemisch geführtes Gespräch ab?

Ein systemisch geführtes Gespräch folgt keiner starren Struktur, sondern passt sich den individuellen Bedürfnissen und Dynamiken der Beteiligten an. Ziel ist es, Wechselwirkungen innerhalb eines Systems sichtbar zu machen und neue Perspektiven zu eröffnen. Der Ablauf ist nicht strikt vorgegeben, sondern hängt von der Situation ab. Dabei gibt es dennoch einige Grundelemente, die für ein zielführendes Gespräch sinnvoll sind. Dabei ist es unwichtig, ob es sich um ein Erstgespräch, ein einmaliges oder weiterführendes Gespräch handelt. Die gesprächsführende Person trägt die Verantwortung für den Prozess und es kann unter Umständen hilfreich sein, sich auf die Grundelemente zurückzubesinnen.

1. Auftragsklärung: Anliegen und Erwartungen klären

Das Wichtigste zu Beginn ist die Auftragsklärung: Dabei wird das Anliegen erfasst und geklärt, welche Erwartungen und Ziele die Beteiligten haben. Es wird herausgearbeitet, welche Personen oder Faktoren das System beeinflussen und welche Perspektiven relevant sind. Diese Phase schafft eine gemeinsame Gesprächsgrundlage und hilft, das weitere Vorgehen zu strukturieren. Auf diesen Punkt lohnt es sich im weiteren Verlauf zurückzuschauen, um zu prüfen, ob die gewählten Methoden hilfreich zum Erfüllen des Auftrags sind. Ebenso verändert sich der Auftrag manchmal im Gesprächsverlauf, weil den Beteiligten ihre Anliegen mitunter nicht immer bewusst sind. Ein erfüllbarer Auftrag ist klar, selbstverantwortlich und offen für neue Perspektiven. Es kann aber passieren, dass es Aufträge gibt, die für die Gesprächsführung nicht erfüllbar sind:

  • Fehlende Eigenverantwortung

Ein Auftrag ist nicht erfüllbar, wenn die Verantwortung vollständig an die Gesprächsführung abgegeben wird, beispielsweise: „Sagen Sie mir genau, was ich tun soll.“
Systemisches Arbeiten basiert auf Selbstverantwortung und darauf, dass Lösungen aus dem System selbst heraus entstehen.

  • Veränderung Dritter ohne deren Beteiligung

Systemische Ansätze fokussieren auf Wechselwirkungen im System. Ein Auftrag wie „Sorgen Sie dafür, dass mein Chef netter zu mir ist“ ist nicht erfüllbar, da die Veränderung einer dritten Person außerhalb des Einflussbereichs der Gesprächsführung liegt.

Gleiches gilt für manipulative Aufträge: „Überzeugen Sie mein Team, meine Meinung zu übernehmen.“ Systemische Arbeit setzt auf Kooperation und nicht auf Kontrolle.

  • Starre oder absolute Erwartungen

Wenn der Auftrag keine Flexibilität zulässt, kann er problematisch sein, z. B.: „Ich will, dass dieses Problem sofort und endgültig gelöst wird.“ oder „Es darf keine Konflikte mehr geben.“
Systemische Prozesse sind dynamisch und bauen auf Entwicklung statt auf sofortige, endgültige Lösungen.

  • Pathologisierende oder defizitorientierte Sichtweise

Ein Auftrag, der nur auf das Problem und nicht auf Ressourcen und Möglichkeiten fokussiert, erschwert eine lösungsorientierte Arbeit.

„Finden Sie heraus, was mit mir/meinem Kind nicht stimmt.“
Systemische Ansätze betrachten Menschen nicht als „defekt“, sondern als Teil eines Systems, das sich verändern kann. Personen, die von anderen als störend empfundene Verhaltensweisen zeigen, werden nicht defizitär, sondern als Symptom für ungünstige Dynamiken im Beziehungssystem betrachtet. Es wird danach gesucht zu verstehen, welche Sinn und welche Funktion das betreffende Verhalten für eine Person hat, um das System soweit zu beeinflussen, dass es alternative Verhaltensweisen möglich macht.

  • Widersprüchliche oder unausgesprochene Erwartungen

Wenn sich eine Person selbst nicht klar ist, was sie möchte, oder wenn mehrere Beteiligte gegensätzliche Erwartungen haben, wird der Auftrag schwierig. „Ich will mich trennen, aber gleichzeitig nicht.“
Hier ist es sinnvoll, zunächst Klarheit über die eigenen Ziele zu gewinnen.

In solchen Fällen wäre es Aufgabe der systemischen Gesprächsführung, den Auftrag zu hinterfragen, umzuformulieren oder neue Perspektiven zu eröffnen, sodass eine sinnvolle und umsetzbare Arbeit möglich wird. Erst wenn es einen klaren und erfüllbaren Auftrag gibt, kann ein Gespräch produktiv geführt werden. Die gesprächsführende Person ist nicht verantwortlich für die Lösung des Problems, sondern nur für den Gesprächsprozess.

2. Anwendung systemischer Interventionstechniken

Neben den Strukturaufstellungen, für die Systemisches Arbeiten so bekannt ist, gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher systemischer Interventionsmethoden, die sich im Gesprächsverlauf nutzen lassen.

Ein wesentliches Merkmal dabei ist eine wertschätzende und neutrale Haltung. Die Gesprächsführung verzichtet darauf, vorschnelle Lösungen anzubieten, sondern regt durch gezielte Fragen zur Reflexion an. Neben der Basis des Aktiven Zuhörens, kommen verschiedene systemische Fragetechniken zum Einsatz. Das Sammelsurium systemischer Methoden ist breit gefächert und vielseitig. Für den sicheren Einsatz der zum Teil tiefgehenden Ressourcen empfiehlt sich eine Fortbildung oder Weiterbildung in systemischer Beratung, um ein Gespür dafür zu entwickeln, wann welche Interventionsmethode wie gut angewendet werden kann. Zu den häufigsten gewählten Methoden systemischer Gespräche zählen beispielsweise:

  • Lösungsorientierte Fragen: Dieser Fragentyp richtet den Blick konsequent auf die Dinge, die schon zuverlässig funktionieren und fordern auf, mehr davon zu tun.
  • Metaphern: Metaphern sind eine kreative und effektive Methode, um komplexe Ideen oder Emotionen auf verständliche Weise zu vermitteln.
  • Genogramme und Soziogramme: Grafische Darstellungen von Familienstrukturen und -geschichten und Beziehungsstrukturen in sozialen Systemen.
  • Ressourcenorientierte Fragen: Die Antworten geben Hinweise, wie sich der Klient auf seinen Lösungsweg selbst unterstützen kann. Dazu entwickelt der/die Berater:in Hypothesen und überprüft diese mit neuen Fragen.
  • Zirkuläre Fragen („Wie würde Person X die Situation beschreiben?“) helfen, die Sichtweisen anderer einzubeziehen.
  • Hypothetische Fragen („Was wäre, wenn sich die Situation verändert?“) ermöglichen es, neue Möglichkeiten zu durchdenken.
  • Skalierungsfragen („Auf einer Skala von 1 bis 10, wie stark empfinden Sie das Problem?“) unterstützen dabei, Veränderungen messbar zu machen.
  • Reframing: einer Situation oder einem Verhalten eine neue, sinnvollere Bedeutung gibt, um festgefahrene Denkmuster zu lösen und neue Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen.
  • Wunderfrage: Fragen, die die Vorstellungskraft anregen und aufzeigen, wie das Leben ohne das aktuelle Problem aussehen würde.

Durch diese Fragetechniken können unbewusste Muster aufgedeckt und neue Perspektiven eingenommen werden.

Im weiteren Verlauf des Gesprächs wird analysiert, welche wiederkehrenden Muster das System prägen und wie sich die Beteiligten gegenseitig beeinflussen. Dabei steht nicht das Problem im Mittelpunkt, sondern die Frage, welche Ressourcen und Stärken bereits vorhanden sind. Oft zeigt sich, dass schon kleine Veränderungen eine große Wirkung entfalten können.

3. Gesprächsabschluss und weitere Schritte

Zum Abschluss des Gesprächs wird reflektiert, welche Erkenntnisse gewonnen wurden und welche nächsten Schritte sinnvoll erscheinen. Ein systemisch geführtes Gespräch fördert somit Reflexion, Selbstwirksamkeit und neue Handlungsmöglichkeiten. Dabei geht es nicht um starre Lösungen, sondern um konkrete Maßnahmen oder Experimente, die ausprobiert werden können und die Beteiligten befähigen, auch nachhaltig positive Veränderungen zu bewirken. Den Beteiligten können Aufträge mitgegeben werden, z.B. etwas wie eine paradoxe Intervention. Gleichzeitig wird überlegt, wie der Fortschritt überprüft werden kann, es wird geklärt, ob weitere Gespräche notwendig sind und eine Verabredung dazu getroffen.

Die Bedeutung der systemischen Gesprächsführung liegt in ihrer Fähigkeit, nachhaltige Veränderungen zu ermöglichen. Sie fördert eine offene, wertschätzende und empathische Kommunikation, die es den Beteiligten ermöglicht, sich gehört und verstanden zu fühlen. Durch die Betonung von Lösungen und Ressourcen können Menschen konkrete Schritte zur Bewältigung ihrer Probleme entwickeln. Dadurch trägt sie zur Stärkung von Beziehungen bei, sei es in der Familie, im Team oder im Geschäftsbereich. Menschen werden dazu ermutigt, Veränderungen positiv anzunehmen und aktiv an ihrer Umsetzung mitzuwirken.

Die systemische Gesprächsführung ist eine kraftvolle Methode, um effektiv mit Menschen in verschiedenen Lebenssituationen zu kommunizieren und positive Veränderungen zu fördern. Ihr Ansatz, der die Vielschichtigkeit von Beziehungen und Kontexten berücksichtigt, macht sie zu einem unverzichtbaren Instrument für professionelle Kommunikatoren, Therapeut:innen und Führungskräfte. Durch die Anwendung der Prinzipien der systemischen Gesprächsführung können wir nicht nur unsere zwischenmenschlichen Beziehungen stärken, sondern auch effektivere Lösungen für die Herausforderungen des Lebens finden. Für diejenigen, die sich mit den Grundhaltungen und Methoden systemischer Gesprächsführung vertraut machen, ist dies mehr als ein Werkzeug und der Einfluss dieser Denkweise geht über professionelle Kontexte hinaus.