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Fragen und Antworten zum Corona-Sozialschutzschirm

Auch wenn es zunächst nicht auf ihrer Agenda stand: Die Bundesregierung hat mit dem beschlossenen Sozialschutzpaket dafür gesorgt, dass Organisationen und Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege in der Krise sicher planen können. Auch Menschen, die von Armut bedroht sind, wird die Beantragung von Hilfen deutlich erleichtert. Dass dies alles bitter notwendig ist, liegt auf der Hand: Die soziale Not im Land wird in nächster Zeit größer werden. Wir haben Fragen, Antworten und Reaktionen gesammelt.

Das Aufspannen eines Sozialschutzschirms für Organisationen und Einrichtungen der Wohlfahrtspflege wird von Verbänden und Einrichtungen mit großer Erleichterung aufgenommen. Nachdem in einem ersten Entwurf der Bundesregierung zunächst keine spezifischen Hilfen für soziale Träger vorgesehen waren, wurden solche dem milliardenschweren Hilfspaket des Bundes letztlich doch noch hinzugefügt. Die mehr als 2 Millionen Beschäftigten in der Wohlfahrtspflege können somit aufatmen. Wir haben für Sie die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengestellt und Reaktionen aus der Branche eingefangen:

Was bringt der Schutzschirm sozialen Dienstleistern?

Für soziale Dienstleister soll der Schutzschirm ähnlich unkompliziert funktionieren wie die bereits zuvor beschlossenen Hilfen für Unternehmen. Denn dadurch, dass in wesentlichen Bereichen der Sozialwirtschaft keine Pauschalen gezahlt werden, sondern stundengenau bzw. aufgrund der Anzahl von Beratungskontakten abgerechnet wird, könnte gerade kleineren Trägern innerhalb weniger Wochen das Geld ausgehen. Aufgrund der strikten Kontaktsperren können im Prinzip sämtliche Leistungen der ambulanten und teilstationären Erziehungshilfe derzeit nicht angeboten werden. Auch Anbieter aus der Eingliederungs- und Behindertenhilfe sind stark betroffen. Konkret sollen die örtlichen Kostenträger, z.B. Jugendämter, sicherstellen, dass Einrichtungen, die bereits vor der Krise regelmäßig Leistungen erbracht haben, mit genügend Mitteln ausgestattet werden. Bedingung ist, dass den Organisationen keine Rücklagen zur Verfügung stehen. Wörtlich heißt es in der von Bundessozialminister Hubertus Heil unterzeichneten Begründung des Gesetzentwurfs: 

„Die Regelung verpflichtet die Träger von Leistungen in den Fällen, in denen Leistungen nicht erbracht werden, stattdessen einen Betrag in gleicher oder niedrigerer Höhe an den Leistungserbringer zu zahlen. Ausgaben der Träger gegenüber den bisherigen Planungen werden nicht steigen, sondern eventuell sogar sinken.“

Anders als bei den Hilfen für Unternehmen, an die z.T. Zuschüsse ausgezahlt werden, soll sozialen Dienstleistern somit in etwa der Betrag bezahlt werden, den sie ohne Corona-Krise für ihre Dienste in Rechnung gestellt hätten. So fließt das Geld weiter an die Einrichtungen, ohne dass die Kassen der Kommunen über das ohnehin veranschlagte Maß hinaus belastet werden. Davon unberührt bleiben natürlich Leistungen, die weiterhin erbracht werden können, z.B. telefonische Beratungskontakte, etwa durch sozialpädagogische Familienhilfen, die weiter exakt abgerechnet werden können und sollen. 

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, zeigt sich erleichtert, dass die Bundesregierungdie sozialen Dienste 'auf den letzten Drücker' berücksichtigt hat: „Nach den aktuellen Plänen wären 75 Prozent der durchschnittlichen Ausgaben der betroffenen sozialen Dienste und Einrichtungen über den Schutzschirm abgesichert. Wo dies nicht reicht, um die laufenden Kosten zu decken, müssen die Länder nachsteuern“, erklärt Schneider. Für ihn geht es um nichts weniger als um den Bestand der sozialen Infrastruktur: „Wenn alle relevanten Akteure auf Bundes- und Landesebene jetzt konstruktiv zusammenarbeiten, kann es gelingen, die soziale Infrastruktur zu retten.“

Auch die Caritas begrüßt die schnellen Hilfsmaßnahmen: „Mit dem Sozialschutzpaket ist sichergestellt, dass wir weiterhin im Dienst unserer Klientinnen und Klienten stehen können, jetzt und nach dieser Krise. Ohne das Damoklesschwert möglicher Insolvenzen können wir darauf fokussieren, unsere Arbeit zu tun“, erklärt beispielsweise Jennifer Schlaupitz, bei der 'Caritas im Norden' verantwortliche Mitarbeiterin für den Bereich Soziale Sicherung und Teilhabe. 

Fachkräfte in der Pflege werden befristet von Aufgaben entlastet, um nicht zwingend notwendige Kontakte zu in diesen Zeiten besonders gefährdeten Personen zu vermeiden. So wird der sog. Pflege-TÜV bis September 2020 vollständig ausgesetzt. Auch die Standards bei der Einstufung von Pflegebedürftigen werden deutlich gesenkt. So sind vorerst keine persönlichen körperlichen Begutachtungen erforderlich. Es soll stattdessen aufgrund der Aktenlage und (Video-)Telefonaten entschieden werden. Auch der festgelegte Personalschlüssel darf in der aktuellen Krise unterschritten werden. Einrichtungen werden in solchen Fällen, natürlich ebenfalls befristet, nicht sanktioniert.

Was bringt der Schutzschirm für Menschen in Notlagen?

Zunächst ist davon auszugehen, dass ein 'Shutdown' von längerer Dauer dazu führen wird, dass trotz eingeleiteter Unterstützungsmaßnahmen wie der Kurzarbeit  deutlich mehr Personen von Armut bedroht oder betroffen sein werden. Aus diesem Grund werden zahlreiche Menschen Leistungen nach dem SGB II beantragen müssen, i.d.R. werden sie zu sogenannten 'Aufstockern'. Für sie soll der Zugang zu den existenzsichernden Leistungen deutlich vereinfacht werden: Damit Anträge schnell und unbürokratisch bewilligt werden können, soll vorübergehend auf die sonst übliche Vermögensprüfung verzichtet werden. Auch werden von den Jobcentern die tatsächlichen Kosten von Unterkunft und Heizung akzeptiert, nicht bloß die ortsüblichen Kosten, wie dies normalerweise der Fall ist. Befristet werden diese Vereinfachungen zunächst bis zum 30. Juni dieses Jahres. Die Bundesregierung kann die Frist allerdings unkompliziert per Verordnung bis Ende des Jahres verlängern.

Menschen, die aufgrund der aktuellen Lage nicht oder nur kaum in ihrem eigentlichen Job arbeiten können, sollen ohne bürokratische Hürden in anderen Berufen aushelfen dürfen, z.B. in landwirtschaftlichen Betrieben oder dem Lebensmittelhandel. Entgegen der sonst geltenden Regelungen werden die hier erzielten Einkünfte nicht mit dem Kurzarbeitergeld verrechnet. Auf unbürokratische Weise soll auf diese Weise sowohl den Arbeitnehmer*innen als auch den personell derzeit unterversorgten Branchen geholfen werden.

Finanzschwache Familien können vom sogenannten Notfall-KIZ profitieren, einer besonderen Kinderzuschlag-Regelung, die das monatliche Einkommen um bis zu 185 EUR pro Kind aufbessern kann. Grundlage für die Prüfung einer Bezugsberechtigung ist aufgrund der Krise nur das letzte Einkommen vor Antragstellung. Da vielen Menschen nicht klar sein dürfte, ob sie von der zusätzlichen Unterstützung profitieren können, verweist das Bundesfamilienministerium auf die Serviceseite www.notfall-kiz.de

Keine Regelungen und Hilfen sehen die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung für wohnungslose Menschen vor. Die beispielsweise von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe vorgetragenen Probleme bei der Versorgung von Menschen ohne festen Wohnsitz (Sozial.de berichtete) fanden nur teilweise Berücksichtigung. So fehlen klare Vorgaben des Bundes an die Kommunen, wie sie der besonderen Notsituation wohnungsloser Menschen begegnen sollen. Immerhin wurde beschlossen, dass Zwangsräumungen in der nächsten Zeit untersagt werden, so dass die Zahl der Menschen ohne Wohnung immerhin nicht zunehmen dürfte. 

Was passiert mit den Kur- und Reha-Einrichtungen? 

Zahlreiche Verbände kritisieren scharf, dass Kur- und Reha-Kliniken explizit nicht unter den Schutzschirm fallen. Diese fallen laut Bundesregierung unter die gesondert getroffenen Regelungen für Einrichtungen, die für die gesetzliche Krankenversicherung und soziale Pflegeversicherung getroffen wurden. Maria Loheide, Vorständin für Sozialpolitik beim Diakonie Bundesverband und gleichzeitig Kuratorin des Müttergenesungswerks, ist entsprechend entsetzt: „Die Träger von Mutter/Vater-Kind-Kuren und von anderen Reha-Einrichtungen etwa für alte oder suchtkranke Menschen haben durch ihre Schließung dramatische Einnahmeverluste zu verzeichnen. Zahlreiche Kliniken dürften die Krise ohne staatliche Hilfe nicht überleben." Leidtragende des drohenden Wegfalls sind die Hilfsbedürftigen - mit entsprechenden Folgen für die nachgelagerten Hilfesysteme wie der Kinder- und Jugendhilfe: Fallen beispielsweise Plätze in den stark nachgefragten Mutter/Vater-Kind-Kuren weg, trifft dies vorwiegend Alleinerziehende und Familien, die oftmals ohnehin mit multiplen Problemlagen konfrontiert sind. Loheide gibt sich daher kämpferisch: „Wir dürfen auf keinen Fall sehenden Auges zulassen, dass die Reha- Einrichtungen insbesondere für belastete Familien wegbrechen. Denn was einmal geschlossen ist, wird nach der Krise nur schwer wiederaufzubauen sein." 

Fazit

Die Bundesregierung hat innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Maßnahmen getroffen, mit denen die schlimmsten Schäden voraussichtlich verhindert werden können. Soziale Dienste und Einrichtungen können ihre Arbeit größtenteils ohne Existenzsorgen fortsetzen. Der Rettungsschirm verhindert, dass die Versorgung und Betreuung der Schwächsten der Gesellschaft zusammenbricht. Eine Zunahme wirtschaftlicher Probleme führt absehbar immer auch zu einer Zunahme sozialer und psychosozialer Probleme. Vor diesem Hintergrund erscheinen die beschlossenen Maßnahmen notwendig und richtig, um die kommenden Belastungen auffangen zu können.

Ungeachtet dessen bleibt zu hoffen, dass diejenigen Fachkräfte, die auch in diesen Zeiten ihre so wichtigen Dienste auf der Straße erbringen, den gesundheitlichen Schutz erhalten, den sie so dringend benötigen. Hier ist vor allem das Bundesgesundheitsministerium gefordert, allen Menschen, die derzeit das System aufrechterhalten, den entsprechenden Schutz zu ermöglichen. Dazu zählt zuallererst die Bereitstellung angemessener Schutzkleidung und von Atemschutzmasken. Eine Selbstverständlichkeit - sollte man meinen.

Sebastian Hempel

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